Aktuell in der ZKM

Kommissionsvorschläge zur Reform der Verbraucherstreitbeilegung – Eine kritische Betrachtung (Brönneke, ZKM 2024, 13)

Eine detaillierte Analyse der einzelnen Änderungen in den Kommissionsvorschlägen zur Reform der Verbraucherstreitbeilegung zeigt, dass diese nur sehr eingeschränkt einen Fortschritt gegenüber der bisherigen Richtlinie darstellen. Vielmehr ist gar zu befürchten, dass sie einer positiven Weiterentwicklung von ADR abträglich sind. Statt die ODR-Plattform zu reformieren und wirklich erfolgversprechende Ansätze zu einer besseren Bekanntheit und Akzeptanz der außergerichtlichen Streitbeilegung aufzugreifen, nehmen die Vorschläge eine Deregulierung an der falschen Stelle vor. Kritisch ist jedoch vor allem das Verschwimmen von Konturen zwischen Verbraucherschutz, ADR und unternehmensgetragenem Kundenservice. Vertrauen in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sind zwei ganz wesentlichen ADR-Merkmale, die durch die Kommissionsvorschläge in Frage gestellt werden.


A. Einleitung

B. Bewertung vorgeschlagener Änderungen im Einzelnen

1. Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs

2. Erweiterung des geografischen Anwendungsbereichs

3. Abschaffung einer Informationspflicht und Kompensation durch Antwort-Frist

4. Aufhebung der ODR-Verordnung und Schaffung von ADR-Kontaktstellen und neuer Plattform

5. Flankierende Empfehlung

C. Grundlegende Überlegungen zur Stärkung von ADR im Lichte der Revision

D. Fazit


A. Einleitung

Am 17.10.2023 hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung der aktuellen ADR-Richtlinie und zur Aufhebung der ODR-Verordnung vorgelegt. Weiterhin hat sie eine Empfehlung über Qualitätsanforderungen an Streitbeilegungsverfahren angenommen, die von Online-Marktplätzen und Wirtschaftsverbänden angeboten werden. Laut dem Titel der Pressemitteilung vom gleichen Tag handelt es sich dabei um „Neue Maßnahmen, die die außergerichtlicheZKM 2024, 14Streitbeilegung vereinfachen und die Verbraucherrechte stärken sollen“. Nachfolgend wird durch eine Auseinandersetzung mit kritisch erscheinenden Änderungen untersucht, ob und inwiefern dies tatsächlich der Fall ist oder gar Risiken birgt (B.). Insgesamt ergibt sich das eher ernüchternde Bild, dass bestehende strukturelle Grundprobleme wie mangelhafte Teilnahmebereitschaft und Bekanntheit von ADR nicht gelöst und die Konturen von ADR im Vergleich zur aktuellen Richtlinie aufgeweicht werden. Einerseits ist eine Verschiebung hin in Richtung Verbraucherschutz und Marktüberwachung, andererseits hin zu wirtschaftsgetragenen Konfliktlösungsmechanismen in dem vorgestellten Änderungspaket angelegt. Dies macht es sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmer schwer, den Mehrwert der ohnedies noch unzulänglich bekannten ADR wahrzunehmen. Dieser Mehrwert wird wesentlich davon geprägt, dass ADR eine gesichert neutrale Position zwischen den Parteien einnimmt. Dem steht nicht entgegen, dass ADR, wie im Titel der Pressemitteilung der EU-Kommission geschrieben, Verbraucherrechte stärkt – aber nicht im Sinne einer einseitigen Interessensvertretung, sondern indem es im Streitfall eine niedrigschwellige Lösung dafür bietet, von einem neutralen Dritten prüfen zu lassen, ob Verbraucherrechte eingehalten wurden. Daher werden nachfolgend auch grundlegende Überlegungen angestellt und weitergehende Vorschläge zum aktuellen Reformprozess unterbreitet (C.), bevor ein übergreifendes Fazit gezogen wird (D.). Engel hatte im Hinblick auf die Einführung der bisherigen Richtlinie folgenden Aufsatztitel formuliert: „Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten – Mehr Zugang zu weniger Recht“. Bei der vorliegenden Änderung kann – anders als damals – tatsächlich die Frage aufgeworfen werden „Mehr Zugang zu weniger Recht?“

B. Bewertung vorgeschlagener Änderungen im Einzelnen

1. Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs


Nach dem Entwurf sollen nach einem künftigen Art. 2 Abs. 1 digitale Sachverhalte umfassender berücksichtigt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 lit. b des Entwurfs soll der Anwendungsbereich u.a. auch deswegen auf nicht- und vorvertragliche Konstellationen erweitert werden.

Im Rückblick auf das Diesel-Gate erscheint es sinnvoll, auch gesetzliche Schuldverhältnisse aus Delikts- und Bereicherungsrecht aufzunehmen. In der Literatur wurde auch in Hinblick auf culpa in contrahendo früh gefordert, dies unter den Anwendungsbereich des VSBG zu subsumieren; hiermit ließe sich eine entsprechende Klarstellung erzielen. Doch gerade diese sinnvolle Erweiterung ist nach Art. 2 Abs. 1 a.E. des Entwurfs in das Belieben der umsetzenden Mitgliedstaaten gestellt, verpflichtend ist sie nur für folgende Konstellationen vorgesehen: (i) missbräuchliche Geschäftspraktiken und Klauseln, (ii) obligatorische vorvertragliche Informationen, (iii) Nichtdiskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes, (iv) Zugang zu Dienstleistungen und Lieferungen, (v) Rechtsbehelfe im Falle der Nichtkonformität von Produkten und digitalen Inhalten, (vi) das Recht, den Anbieter zu wechseln und (vii) die Rechte von Passagieren und Reisenden.

Insbesondere hinsichtlich der missbräuchlichen Geschäftspraktiken und Klauseln sowie der vorvertraglichen Informationen ist wiederum fraglich, ob ADR das richtige Mittel im Streitfall ist, bzw. ob eine entsprechende Erweiterung überhaupt notwendig ist.

Denn wenn es um eine Streitigkeit über vertragliche Verpflichtungen aus Kaufverträgen oder Dienstleistungsverträgen geht, ist schon heute zu prüfen, ob vorvertragliche Informationen gegeben oder Allgemeine Geschäftsbedingungen wirksam vereinbart wurden. Unklar ist daher, was die Änderung bezweckt. Die Begründung des Richtlinienentwurfs bleibt hier vage bzw. lässt befürchten, dass künftig auch Schlichtungsanträge ex populo, also ohne dass der Antragstellende eine Verletzung eigener Rechte geltend macht, möglich sein sollen. Abgesehen davon, dass dies gerade für Auffangschlichtungsstellen nach Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie zu einem explosionsartigen Anstieg der Anträge führen und jedenfalls eine sehr hohe personelle und budgetäre Aufstockung nach sich ziehen könnte, stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich sinnvoll ist. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.02.2024 12:10
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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