Aktuell in der ZKM

Aktuelle Entwicklungen der Mediation in Italien: Die Cartabia-Reform (Pesca, ZKM 2024)

In Italien wurden im vergangenen Jahr umfangreiche gesetzgeberische Maßnahmen zur Förderung der Mediation ergriffen. Neben dem Ausbau bestehender Elemente wie der verpflichtenden Mediation und steuerlicher Anreize wurde insbesondere die staatliche Mediationskostenhilfe eingeführt. Der Artikel gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Mediation in Zivil- und Handelssachen mit besonderem Fokus auf die jüngst durch die „Cartabia“-Reform eingeführten Neuerungen.

A. Einleitung

B. Mediation als Prozessvoraussetzung

I. Pflichtmediation nach Sachgebiet

II. Gerichtlich angeordnete Mediation

C. Mediationsverfahren

I. Anwaltliche Informationspflichten

II. Antrag auf Mediation

III. Erste Mediationssitzung

IV. Abschluss des Mediationsverfahrens

V. Konsequenzen bei Nichtteilnahme

D. Online-Mediation

E. Steuerliche Vorteile und staatliche Prozesskostenhilfe

F. Weitere Besonderheiten

G. Aktuelle Situation und zukünftige Entwicklungen


A. Einleitung

Die italienische Mediationsregelung wurde durch die sog. „Cartabia“-Reform, die am 30.6.2023 vollständig in Kraft trat, weitreichend geändert. Die Bestimmungen zur zivilen Mediation, die im „decreto legislativo“ vom 4.3.2010, Nr. 28 (im Folgenden als Mediationsgesetz oder MedG bezeichnet), enthalten sind, wurden zahlreich modifiziert.

Ziel der Reform ist es, den Anwendungsbereich des Mediationsverfahrens zu erweitern. Damit soll erreicht werden, dass Beteiligte in rechtlichen Streitigkeiten häufiger versuchen, vor der Einleitung eines Gerichtsverfahrens eine Mediation durchzuführen, so dass diese zu einer Alternative zum gerichtlichen Verfahren wird. Diese Absicht wird durch verschiedene Maßnahmen verfolgt. Zum einen wurde der bestehende obligatorische Ansatz ausgebaut, indem der Kreis der Anwendungsfälle erweitert wurde, in denen die Mediation notwendige Bedingung für die Prozesszulässigkeit ist. Zugleich wurden die Konsequenzen einer Nichtteilnahme durch Sanktionen verstärkt. Zum anderen wurde ein inklusiver und kollaborativer Ansatz gewählt, der die zentrale Rolle der Parteien in der Mediation betont und Änderungen im Verfahren bereits ab der ersten Sitzung vorsieht. Zusätzlich fördert der Gesetzgeber die Nutzung der Mediation durch steuerliche Vorteile und die Bereitstellung staatlicher Rechtsbeihilfe.

Die Reform klärt zudem interpretative Fragen, die sich in der bisherigen Praxis ergaben. Dies ist geschehen durch die Festlegung der Modalitäten für den Versuch einer Mediation im Rahmen eines Einspruchsverfahren gegen einen Mahnbescheid sowie durch die Regelung der Legitimität des Wohnungseigentumsverwalters in der Mediation. Darüber hinaus wurde auch die Mediation in elektronischer Form reformiert.

Die Reform betraf neben der Mediation auch die unterstützte Verhandlung („negoziazione assistita“), die in diesem Beitrag nicht behandelt wird, aber ein weiteres Instrument darstellt, welches darauf abzielt, eine einvernehmliche Einigung zu finden, bevor das Gericht angerufen wird. Der Versuch der unterstützten Verhandlung (unterstützt von einem oder mehreren Anwälten vereinbaren die Parteien, in gutem Glauben und mit Loyalität zusammenzuarbeiten, um einen Streitfall auf freundschaftliche Weise zu lösen) ist Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Schadensersatzklage im Zusammenhang mit dem Betrieb von Fahrzeugen oder Wasserfahrzeugen sowie für Zahlungsklagen jeglicher Art mit Streitwert unter € 50.000, sofern es sich nicht um einen der Fälle von obligatorischer Mediation handelt.

B. Mediation als Prozessvoraussetzung

Das Mediationsgesetz sieht in drei verschiedenen Artikeln eine solche Regelung vor: Art. 5 legt eine Pflichtmediation für bestimmte Sachgebiete fest, Art. 5-quater regelt die vom Richter angeordnete Mediation und Art. 5-sexies die durch vertragliche oder statutarische Klausel vorgesehene Mediation. In all diesen Fällen ist der Versuch einer Mediation Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage. Diese Bedingung gilt als erfüllt, wenn die erste Mediationssitzung ohne eine Einigung endet.

I. Pflichtmediation nach Sachgebiet

Der Bereich der Pflichtmediation vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens wurde signifikant erweitert. Zu den bisherigen Bereichen (Wohnungseigentum, dingliche Rechte, Auseinandersetzungen, Erbfolge, familienrechtliche Vereinbarungen, Miete, Leihe, Unternehmenspacht, Schadensersatzansprüche aus ärztlicher und gesundheitlicher Verantwortung sowie Verleumdung durch Presse oder Medien, Versicherungs‑, Bank- und Finanzdienstleistungsverträge) sind zusätzlich die Bereiche Teilhaberschaft („associazione in partecipazione“), Konsortium („consorzio“), Franchising („franchising“), Werkvertrag („opera“), Netzwerksvertrag („rete“), Liefervertrag („somministrazione“), Personengesellschaften („società di persone“) und Subunternehmerverträge („subfornitura“) hinzugekommen, für die ebenfalls ein Mediationsversuch vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens Pflicht ist.

In Fällen, in denen die Mediation nicht durchgeführt wird, kann der Beklagte dies in dem späteren Gerichtsverfahren einwenden oder das Gericht kann dies von Amts wegen feststellen. Dies muss jedoch spätestens in der ersten Gerichtsverhandlung geschehen, andernfalls verfällt der Anspruch. Stellt das Gericht fest, dass die Mediation noch nicht eingeleitet wurde oder noch nicht abgeschlossen ist, wird der nächste Verhandlungstermin nach Ablauf einer dreimonatigen Frist angesetzt, Art. 6 MedG. Die Frist kann auf bis zu sechs Monate verlängert werden. Wird beim nächsten Termin festgestellt, dass die Mediation noch nicht begonnen wurde, wird die gerichtliche Klage als unzulässig abgewiesen.

II. Gerichtlich angeordnete Mediation

Die Reform fördert auch die richterliche Anwendung der Mediation während eines Zivilverfahrens. Die gerichtliche Anordnung ist grundsätzlich in jedem Rechtsstreit möglich, unabhängig von dessen Inhalt. Der neue Art. 5-quater MedG räumt dem Gericht ein breiteres Ermessensrecht ein. Das Gericht hat die Anordnung der Mediation zu begründen, wobei neben der Art des Falls, dem Verfahrensstand und dem Verhalten der Parteien jetzt auch weitere relevante Umstände berücksichtigt werden können. Mit derselben Verfügung wird der nächste Verhandlungstermin festgelegt, in dem die Klage als unzulässig abgewiesen wird, falls keine Mediation stattgefunden hat. Der Richter kann ein Mediationsverfahren auch in der Berufungsinstanz bis zur Formulierung der Schlussanträge anordnen.

Art. 5-quinquies MedG zielt darauf ab, Richter zur Nutzung der Mediation zu ermutigen; die Teilnahme an Mediationsseminaren sowie die Anzahl und Qualität der durch Mediation gelösten Fälle gelten danach als Indikatoren für das Engagement und die Kompetenz des Richters. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.01.2024 14:00
Quelle: Verlag Dr. Otoo Schmidt

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