Mediation soll´s richten: Sorgerechtsfälle in Niedersachsen nehmen zu

An niedersächsischen Gerichten wurden im vergangenen Jahr mehr als 19.000 Sorgerechtsverfahren abgeschlossen. Dabei lassen immer mehr Eltern ihre gerichtlichen Konflikte eskalieren. Insgesamt hat die Zahl der Auseinandersetzungen um die elterliche Sorge für das Kind nach sechs Jahren wieder einen Höchststand erreicht. Wenn Eltern dann auch noch den Konflikt wie in einer Spirale hochschrauben, sind Gerichte und Jugendhilfe besonders herausgefordert. Der Streit um Umgang und Sorgerecht wird dann durch alle Instanzen geführt. Die Leidtragenden sind die Kinder, weil nicht alle Eltern in der Lage sind, das gemeinsame Sorgerecht im Sinne der Kinder auszuüben und das familienrechtliche Justizsystem nicht immer in der Lage ist, das ausreichend zu begleiten.

Die Verfahren dauern oft zu lang – auch weil es nicht genügend Sachverständige gibt. So dauert es oft Monate, bis ein Gutachten über die Familiensituation vorliegt. Eine Suche im bundesweiten IHK-Verzeichnis ergibt für ganz Deutschland gerade einmal 48 öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Psychologie. Bausachverständige gibt es beispielsweise mehr als fünfmal so viele. Allerdings können auch nicht öffentlich bestellte und vereidigte Psychologen oder Psychiater Gutachten erstellen.

Auch die Zahl der extrem konfliktträchtigen Fälle nimmt nach Beobachtung von Richterinnen und Richtern zu. Statistisch erfasst werden diese hochstrittigen Fälle aber nicht. Auch beim Mediationsverein „Waage Hannover" steigen die Fallzahlen seit einigen Jahren erheblich. Die Juristin Roberta Cifariello ist langjährige Mediatorin dort. Sie und ihr fünfköpfiges Team für Familienrechtsfälle hätten es nur noch mit hochstrittigen Fällen zu tun, sagt sie. Und die Fallzahlen stiegen kontinuierlich. Bei der Mediation gehe es darum, den Eltern bewusst zu machen, welche Folgen ihr Streit für die Entwicklung der Kinder habe: "Kindeswohlgefährdung kann auch von einer Trennung kommen und dadurch, dass die Eltern es nicht schaffen, miteinander in eine gute Kommunikation zu kommen." Eltern im Kriegsmodus schadeten ihren Kindern nachhaltig.

Mit einer Mediation komme häufig auch in schwere Konflikte Bewegung. Eltern könnten dabei aus der Kränkung und dem Kriegsmodus zurück in ihre eigentliche Rolle finden, berichtet Cifariello. Den größten Teil der Arbeit der „Waage" finanzieren die Stadt und die Region Hannover. Der Rest wird von Spenden abgedeckt. Cifariello bedauert, nicht überall in Niedersachsen gäbe es ein so gutes Beratungs- und Mediationsangebot, wie in Hannover. Sie appelliert an Land und Kommunen, flächendeckend in Angebote zu investieren - im Sinne des Kindeswohls.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.07.2023 13:58
Quelle: www.ndr.de v. 3.7.2023

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