Aktuell in der ZKM

Mediation im Erbstreit (Fries, ZKM 2023, 10)

Erbstreitigkeiten haben einen schlechten Ruf. Angeblich fördern sie die schlechtesten Seiten der Menschen zu Tage und führen vom unproblematischen familiären Mit- oder Nebeneinander zu einem erbitterten Gegeneinander. Wenn’s ums Geld geht, hört eben jede Freundschaft auf. Dabei kann es auch ganz anders laufen. Denn kaum ein Rechtsgebiet eignet sich besser für eine konsensuale Konfliktlösung als das Erbrecht. Ein Plädoyer für mehr Mediation im Erbstreit.


A. Hintergrund

B. Pluspunkte einer Mediation im Erbstreit

I. Verfahrensdauer

II. Hohe Streitwerte

III. Erhöhte Kompromissbereitschaft

IV. Gemeinsame Autoritäten

C. Herausforderungen für die Mediatorentätigkeit

I. Mehrpersonenkonstellationen

II. Mediation im Familienunternehmen

D. Erbrechtsmediation und Anwaltspraxis

E. Fazit


A. Hintergrund

Die Mediationsszene debattiert in jüngerer Zeit intensiv über die Neufassung der Zertifizierungs-Verordnung,  über Qualitätsprüfstellen und über die Einrichtung einer Mediatorenkammer. Hinter diesen Überlegungen steht der nachvollziehbare Wunsch, einem als nützlich erkannten Streitbeilegungsverfahren zum Durchbruch zu verhelfen. Ob die Regulierung von Mediationsverfahren und Mediatorberuf durch Mediationsgesetz und Zertifizierungs-Verordnung dieses Ziel tatsächlich fördert, erscheint allerdings sehr fraglich, denn die Entscheidung der Streitparteien für oder wider ein bestimmtes Konfliktlösungsverfahren hat damit vermutlich wenig zu tun.

Jedenfalls erscheint es bei aller Berechtigung von Regulierungsdebatten ebenfalls sinnvoll, sich mit Hilfe von Beispielen und Erfahrungsberichten aus verschiedenen Rechtsgebieten immer wieder vor Augen zu führen, welchen handfesten Nutzen sich die Konfliktparteien von einer Mediation erwarten können. Das von Haft und von Schlieffen herausgegebene Handbuch Mediation bietet hier seit langem eine gute Grundlage, indem es wichtige Handreichungen zu verschiedenen Konfliktbereichen gibt, so etwa zur Mediation im Arbeitsrecht, im privaten Baurecht und im Insolvenzverfahren.  Dieser Beitrag greift speziell die Mediation im Erbrecht heraus – ein Anwendungsgebiet, das vielen Menschen im Laufe ihres Lebens begegnet, das in der Literatur durchaus schon hie und da beleuchtet wurde, das sich geradezu mustergültig für eine interessenorientierte Konfliktlösung eignet und von dem man doch insgesamt noch zu wenig hört. Warum ist das so und was gibt es in der Erbmediation zu gewinnen?

B. Pluspunkte einer Mediation im Erbstreit

In erbrechtlichen Streitigkeiten gibt es eine Reihe von Besonderheiten, die diese Konflikte für einen Mediationsversuch geradezu prädestinieren. Insofern ist es häufig keine große Kunst, die Nachfahren Verstorbener von den Vorteilen einer Streitbeilegung zu überzeugen, solange es denn gelingt, das Nachdenken über ein zielführendes Konfliktlösungsverfahren überhaupt anzustoßen.

I. Verfahrensdauer

Der erste und häufig schon wichtigste Punkt: Die deutsche Justiz genießt zwar wegen ihrer Kompetenz und Unabhängigkeit international hohes Ansehen. Erbrechtliche Gerichtsverfahren gelten allerdings als überdurchschnittlich langwierig. Verantwortlich dafür sind nicht etwa Unsicherheiten im Hinblick auf materiell-rechtliche Regeln, sondern Schwierigkeiten, die beispielsweise die Testierfähigkeit der Erblasserin, die Auslegung von Testamenten oder die Ermittlung des Nachlassbestands betreffen können.

Die Komplexität eines gerichtlichen Erbstreits erhöht sich noch einmal deutlich, wenn mehr als zwei Personen an der Erbschaft partizipieren möchten oder wenn die Anwendung ausländischer Normen in Betracht kommt. Für die beteiligten Anwältinnen und Anwälte eröffnen solche Konflikte interessantes strategisches Potential, etwa, wenn Erben untereinander Koalitionen bilden und zunächst nur teilweise am Prozess beteiligt sind. Ein Gerichtsverfahren zieht sich auf diesem Wege aber fast zwangsläufig in die Länge. Wird der Rechtsstreit über mehrere Klagestufen und/oder über mehrere Instanzen geführt, können durchaus einmal zehn Jahre vergehen, bis der Nachlass endgültig verteilt ist.

Das Prozessrecht könnte diesen Weg abkürzen, etwa wenn es das Gericht mit den Beteiligten digital strukturiert kommunizieren ließe oder für schriftliches Vorbringen, Ladungen und Gutachten kürzere Fristen vorsähe. Der Gesetzgeber tut sich beim Abbau von Formalhürden allerdings seit jeher außerordentlich schwer, so dass der Erbprozess bis auf Weiteres schwerfällig bleiben wird. Umso größer ist der Kontrast zum Mediationsverfahren, das sich häufig binnen weniger Wochen terminieren und innerhalb weniger Tage abschließen lässt. Selbst wenn man das Scheitern des Mediationsversuchs seriöserweise einkalkulieren muss, hat sich die Erledigung damit im Hinblick auf den zeitlichen Umfang eines Prozesses kaum verzögert. Klappt es hingegen mit einer Einigung, ist der Konflikt üblicherweise vollständig beigelegt: Während die Parteien in vertragsrechtlichen oder familienrechtlichen Auseinandersetzungen zukünftige Kontakte selten zu vermeiden sind, können die Parteien eines Erbstreits getrennter Wege gehen, was für viele Medianden eine sehr verheißungsvolle Aussicht ist.

II. Hohe Streitwerte

Bei Verfahrenskosten im niedrigen fünfstelligen Bereich lohnt sich ein Mediationsversuch realistischerweise nur, wenn sich der Streitwert mindestens im sechsstelligen Bereich befindet. Nun gibt es natürlich die Vielzahl der kleinen Nachlässe, deren Verteilung auch konflikthaft sein kann und sich doch wegen der Verfahrenskosten kaum für eine klassische Mediation eignet.  Der Umfang des in Deutschland vererbten Vermögens ist allerdings im Laufe der vergangenen Jahre auch inflationsbereinigt gewaltig gestiegen.  In fast jedem zweiten Nachlass findet sich eine Immobilie.  Dass sich die Investition in einen Mediationsversuch lohnt, ist insofern nicht die Regel, aber eben auch nicht mehr eine Ausnahme.

Der besondere Reiz einer Mediation folgt dabei nicht nur aus einem Vergleich der Mediationskosten mit dem Streitwert, sondern natürlich auch aus einem Vergleich der Mediationskosten mit den Prozesskosten. Nicht zuletzt weil Rechtsschutzversicherer die Finanzierung erbrechtlicher Prozesse in ihren Versicherungsbedingungen weitgehend ausschließen, schulden Anwältinnen und Anwälte ihrer Mandantschaft diesbezüglich eine klare Information. Dabei gehört zu Lasten eines Gerichtsverfahrens in die Waagschale, dass sich der Gang in höhere Instanzen und die damit verbundenen Prozesskosten nicht sicher vermeiden lassen, ebenso wie man natürlich im Hinblick auf eine Mediation berücksichtigen muss, dass diese ein nachfolgendes Gerichtsverfahren nicht sicher verhindern kann.

III. Erhöhte Kompromissbereitschaft

Ein weiteres Argument, das die Bereitschaft zu einem Mediationsversuch außerordentlich begünstigt, besteht darin, dass man als Erbe oder Pflichtteilsberechtigter nie um Verluste, sondern immer um Gewinne streitet. Denn selbst derjenige, der gemessen an seinen Ansprüchen im Laufe des Verfahrens viele Federn lassen muss, wird am Ende selten draufzahlen, sondern in aller Regel nur leer ausgehen.  In dieser Rolle sind die meisten Menschen typischerweise deutlich kompromissbereiter, als wenn sie im Falle des rechtlichen Unterliegens Geld zahlen oder anderweitig eigenes Vermögen aufgeben müssten.

Dieses Phänomen lässt sich sogar auf eine zentrale Erkenntnis der modernen Verhaltenspsychologie zurückführen. Nach der vielzitierten Prospect Theory von Daniel Kahneman und Amos Tversky streitet man – vereinfacht gesagt – lieber um Verluste als um Gewinne; geht es hingegen nur darum, wie groß der eigene Vermögenszuwachs ist, bevorzugen die meisten Individuen eine sichere Teilsumme gegenüber einer unsicheren Maximalsumme. Für diese Theorie gibt es kaum ein besseres Beispiel als die Verfahrenswahl von Erbstreitbeteiligten, vorausgesetzt natürlich, dass die Wahlentscheidung als solche bewusst und überlegt erfolgt. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.03.2023 16:46
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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