Aktuell in der ZKM

Dauerhaftigkeit von Mediationsvereinbarungen (Kaiser/Eisenkopf, ZKM 2023, 4)

Zur Prüfung der Dauerhaftigkeit von Mediationsvereinbarungen haben wir die Forschungsliteratur ausgewertet und im Rahmen der Prospektiven Kieler Longitudinalstudie (PROKLOS) mit mehr als 300 hocheskalierten Konfliktfällen unterschiedlicher Rechtsgebiete überprüft. Dabei zeigte sich, dass neben Prozessqualitäten des Verfahrens auch bereits vorher bestehende strukturelle Gegebenheiten, unmittelbare Mediationsergebnisse sowie längerfristige biopsychosoziale Effekte für einen dauerhaften Mediationserfolg bedeutsam waren. Aus den Befunden ziehen wir Schlussfolgerungen für Praxis und Ausbildung.


A. Einführung

B. Vorliegende Befunde

I. Mediationsrelevante Befunde aus der psychologischen Forschung

II. Emotionen und Persönlichkeitseigenschaften

III. Mediationsrelevante Befunde aus der Beratungs- und Therapieforschung

C. Ergebnisse der Prospektiven Kieler Longitudinalstudie (PROKLOS)

I. Methoden

II. Ergebnisse

1. Fallmerkmale

2. Nachhaltige Ergebnisgerechtigkeit

3. Langzeitzufriedenheit

4. Nachhaltige Vertragstreue

5. Nachhaltige Verbesserung von Befinden und Lebensqualität

6. Nachhaltige Verbesserung der Beziehungen

7. Langfristige Zeit- und Kostenersparnis

8. Konfliktfähigkeit

9. Zusammenfassung und Diskussion

D. Schlussfolgerungen für Praxis und Ausbildung


A. Einführung

Wie zufrieden Parteien mit Mediationsvereinbarungen sind und wie gut diese eingehalten werden, wird erst nach längerer Zeit deutlich. Konflikte und Mediation sind ein biopsychosozialer Prozess. Das damit verbundene Geschehen ist wissenschaftlich zu klären, um Effektivität, Effizienz sowie die Nachhaltigkeit und damit die Evidenzbasierung von Mediation zu belegen. Auch die Risiken und Nebenwirkungen von Mediation sind besser zu erforschen. 

Um die Dauerhaftigkeit von Mediationsvereinbarungen zu überprüfen und zu einer besseren empirischen Fundierung der Mediation beizutragen, haben wir deshalb vorliegende empirische Untersuchungen aus der Mediationsforschung, der Psychologie sowie der Beratungs- und Therapieforschung ausgewertet. Auf dieser Grundlage haben wir ein theoretisches Modell der Mediation entwickelt und im Rahmen einer Langzeitstudie überprüft.

B. Vorliegende Befunde

Die Ergebnisse angloamerikanischer Längsschnittforschungen zur Familienmediation zeigen neben positiven Langzeiteffekten auch Verschlechterungen durch Familienmediation. So waren z.B. Strukturqualitäten wie persönliche Merkmale der Partner, starke Bindungen und strittige Beziehungen auf der Paarebene oft einer Konfliktregelung im Wege. Im Rahmen einer Langzeitstudie über 12 Jahre stellten z. B. Sbarra & Emery vor allem bei Vätern starke familiale Bindungen fest, was sie einerseits nachsichtiger machte. Viele wollten keine Trennung und berichteten weniger Konflikte auf der Elternebene als die Mütter. Aufgrund der Ergebnisse der psychologischen Bindungsforschung verstehen wir diese Zusammenhänge heute viel besser (siehe unten). Aufgrund dieser nicht bewusst ablaufenden neuropsychischen Prozesse können sich intrapsychische und interpersonelle Konflikte auf maligne Weise vermischen, was Beteiligte und Mediatoren in besonderer Weise fordert.

Den vorliegenden Befunden zufolge gehörte zu den wichtigen Prozessqualitäten von Mediation, auf die mit den Konflikten verbundenen Emotionen – auch der indirekt Beteiligten, vor allem der Kinder – gründlich einzugehen und zu prüfen, inwieweit alle wichtigen Familienmitglieder die Verständigung mit der Gegenpartei unterstützten. Dann wurde die Verhandlungsführung gerechter und wertschätzender erlebt. Förderlich war, wenn die Konfliktparteien sich mithilfe des Mediators aussöhnen und so auf der Elternebene besser kooperieren konnten. Sie waren langfristig umso zufriedener, je genauer die vereinbarten Regelungen eingehalten wurden und gegebenenfalls konsensuell an veränderte Verhältnisse angepasst werden konnten.  Als hinderlich erwies sich, wenn Mediatoren mit den teilweise heftigen Emotionen der Parteien nicht empathisch, neutral und abstinent umzugehen verstanden.

In den Studien zur Organisationsmediation standen ökonomische Ziele, Rollen und Hierarchien im Vordergrund. Einer Studie von Poitras & Le Tareau zufolge konnten nur 29 % der 207 Teilnehmer ihre Beziehung verbessern. Enttäuschten die Vereinbarungen, bewerteten sie Mediator und Verfahrensgerechtigkeit schlechter. Die Autoren führten dies auf mangelnde Kompetenzen der Mediatoren zurück, die nicht in der Lage waren, mit Beziehungskonflikten und den damit verbundenen Emotionen umzugehen und so die Parteien zu versöhnen. Auch in einer Studie von Kalter et al.  mit Arbeitsplatzkonflikten von 96 Teilnehmern sagte Versöhnung nach der Mediation und Zufriedenheit mit Mediator und Mediation auch dauerhafte Aussöhnung und Zufriedenheit nach einem Jahr vorher. Die hierarchische Position sowie das Vertrauen in die Mediationsvereinbarung sagten langfristig das Vertrauen in die Vertragstreue der Gegenseite voraus.  Daten von 199 Verhandlungsdyaden ergaben, dass Beziehungs- und Sachkonflikte leichter geregelt wurden, wenn sich die Parteien in ihren Gerechtigkeitsauffassungen einig waren. 

Insgesamt wurden psychosoziale Mechanismen und Hintergründe in der Mediationsforschung bislang zu wenig beleuchtet und wichtige Ansätze und Ergebnisse der empirischen Psychologie vernachlässigt.

I. Mediationsrelevante Befunde aus der psychologischen Forschung

Psychologische Ansätze und Befunde erleichtern ein evidenzbasiertes Verständnis von Konflikten und Mediation. Ergebnisse aus der Kognitionspsychologie zur Selektivität und Perspektivität der Wahrnehmung zeigen, wie lückenhaft und voreingenommen Menschen wahrnehmen und urteilen. Informationen können aufgrund von Nichtwahrnehmung, Unwissenheit, Reizüberflutung oder Ablenkung unbemerkt bleiben oder aus innerer Abwehr verdrängt oder verleugnet werden. Aufgrund mangelhafter Informationsverarbeitung kommt es zu falschen Schlussfolgerungen und Zuschreibungen, die für andere als unwahr, böswillig oder lügnerisch erscheinen und entsprechende Emotionen bei den Beteiligten auslösen können. 

Das Gedächtnis ist fehleranfällig, da unterschiedliche Hirnareale beteiligt sind, vor allem wenn mehrere gleichzeitige Ereignisse nicht richtig eingeordnet wurden oder unterschiedliche Bewertungen und Versionen von Berichten konkurrieren. So kann es unbewusst zu falschen Verknüpfungen von Informationen und folgenschweren Fehlerinnerungen kommen (false memories ). Daher ist ggf. eine genaue Rekonstruktion und kooperative Überprüfung von erinnerten Berichten sinnvoll.

Ein häufig übersehenes Hindernis für realitätsgerechte Informationsverarbeitung und Erinnern ist Stress, was den Organismus für Flucht, Kampf oder Erstarrung aktiviert. Hierzu wird die Energiezufuhr zum Großhirn reduziert, was Wahrnehmung, Erinnern und Denken beeinträchtigen und „kopflos“ machen kann.  Das psychophysische Stress-Syndrom wird vom Alarmzentrum im Gehirn ausgelöst, wenn die in den Hirnstrukturen verankerten Grundbedürfnisse nach Orientierung/Kontrolle, Bindung/Zugehörigkeit, Lustgewinn/Unlustvermeidung sowie Wertschätzung/Selbstbestätigung bedroht werden.  Bleibt z.B. das Bindungsbedürfnis unbefriedigt, wird die Bindungsperson – trotz aversiver Konflikte – schmerzlich vermisst und über das Alarmzentrum Stress ausgelöst, was zu den berüchtigten „Rosenkriegen“ beiträgt.  Aufgrund dieser nichtbewusst ablaufenden neuropsychischen Prozesse können sich intrapsychische und interpersonelle Konflikte auf maligne Weise vermischen. Es gehört daher zu den wichtigen Prozessqualitäten auch in der Mediation, auf die psychischen Grundbedürfnisse und die damit verbundenen Emotionen einzugehen.

II. Emotionen und Persönlichkeitseigenschaften

Emotionen sind mit den Grundbedürfnissen verbundene psychophysische Syndrome, die je nach Situation als Freude, Trauer, Missbilligung/Verachtung, Ekel/Abwehr, Ärger/Wut, Angst, Überraschung oder in Kombinationen davon erlebt werden.  Bestehende Emotionen versucht das Gehirn zu bestätigen und Diskrepanzerlebnisse zu vermeiden (Dissonanzreduktion). Durch Verknüpfung zufällig gemeinsam aufgetretener Reize kann es unbewusst zu falschen Ursachenzuschreibungen (Fehlattributionen) kommen. Bei schwerem Stress werden Schemata im Gehirn gebahnt, die zu posttraumatischen Störungen führen können. Solche Schemata können durch Zufallsreize oft noch nach langer Zeit zu einem Flashback führen. Das Gehirn kann Realitäten also nach eigenen nichtbewussten Kriterien konstruieren. Daher empfiehlt sich im Umgang mit Konfliktbeteiligten, immer zuerst empathisch die Emotionen genauer zu klären und so zur Beruhigung beizutragen. Dies gelingt am leichtesten durch aufmerksame Beobachtung nonverbaler Signale (Mikroexpressionen) und direktes Verbalisieren der damit verbundenen Emotionen. 

In den Hirnstrukturen verankert sind auch stabile Persönlichkeitseigenschaften, die Verhalten und Erleben in Konflikten und Mediation prägen. Hierzu gehören Neurotizismus/Emotionale Irritierbarkeit, Offenheit für neue Erfahrungen, Extraversion/Introversion, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit (Big Five). Auch Merkmale wie mangelnde Intelligenz und soziale Kompetenzen,  sowie psychische Störungen können Konfliktanfälligkeit und Konfliktverhalten beeinflussen. Von Letzteren sind ca. 31 % der Gesamtbevölkerung betroffen. 

Wie die angesprochenen neuropsychischen Mechanismen Erleben und Verhalten in Konflikten beeinflussen, ist somit bei Konfliktanalyse und Verhandlungsführung stets zu berücksichtigen. Hierzu bieten sich viele Befunde und Strategien an, die in der Beratungs- und Therapieforschung entwickelt und erprobt wurden. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.02.2023 15:11
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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