BGH: Kartellrechtlicher Schiedsspruch voll überprüfbar

Ein Schiedsspruch ist nicht nur einer gerichtlichen Evidenzkontrolle unterworfen, sondern muss sich vollumfänglich an den zwingenden Verbotsnormen des Kartellrechts messen lassen. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) mit kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 27.09.2022 –KZB 75/21 und schaffte damit Klarheit in einer seit langem zwischen OLG-Senaten umstrittenen Frage. Die Entscheidung ist wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BGHZ vorgesehen.

Sachverhalt und Verfahrenshergang
Die Antragstellerin, eine Pächterin, betrieb einen von zwei Steinbrüchen im Büdinger Wald. Ebendiesen Pachtvertrag kündigte die Eigentümerin vor Ende der Laufzeit. Ziel der Kündigung war es, die Pächterin zur Veräußerung ihrer Anlagen im Steinbruch an ihre Konkurrentin zu bringen. Durch das Ausscheiden der Pächterin aus dem Wettbewerb sollte ein Preiskampf zwischen den Steinbrüchen verhindert und eine höhere Pacht erzielt werden.

Gestützt auf kartellrechtliche Erwägungen erwirkte die Pächterin zunächst ein Bußgeld gegen die Eigentümerin beim Bundeskartellamt. Das daraufhin von der Eigentümerin angerufene Schiedsgericht verwarf diese Einwände und bestätigte die Kündigung mit Endschiedsspruch.

Das zuständige Schiedssenat des OLG Frankfurt hat diesen Schiedsspruch dann bestätigt. Der Senat lehnte eine kartellrechtliche Prüfungskompetenz der staatlichen Gerichte ab und begründete dies mit dem Wesen der Schiedsgerichtsbarkeit als privatautonome Streitentscheidung. Nicht einmal für eine summarische Prüfung oder kartellrechtliche Plausibilitätskontrolle sei Raum.

BGH widerspricht: Schiedsspruch vollumfänglich überprüfbar
Der BGH erteilt dieser Auffassung des OLG Frankfurt nun eine Absage. Die §§ 19-21 GWB, die das Verbot einseitiger, missbräuchlicher Verhaltensweisen normieren, gehörten zu den elementaren Grundlagen des deutschen Rechts, die auch im Schiedsverfahren nicht verletzt werden dürften. Entgegen der Auffassung des OLG-Senates sei der gerichtliche Prüfungsmaßstab auch nicht auf eine bloße Evidenzkontrolle kartellrechtlicher Schiedssprüche beschränkt, sondern tatsächlich und rechtlich vollumfänglich vorzunehmen.

Keine Rechtsordnung könne es hinnehmen, dass Verstöße gegen ihre grundlegendsten Normen durch ihre eigenen Gerichte bestätigt würden – unabhängig davon, ob diese Verstöße offenkundig oder offensichtlich seien oder nicht. Für die vollumfängliche Überprüfbarkeit spreche, so der BGH, neben dem Interesse der Schiedsparteien auch das öffentliche Interesse an einem funktionierenden Wettbewerb. Ferner seien lediglich vor staatlichen Gerichten umfassende Beteiligungsbefugnisse des Bundeskartellamts vorgesehen. Hinzu komme im Anwendungsbereich der Art. 101, 102 AEUV, dass staatliche Gerichte – im Gegensatz zu Schiedsgerichten – vorlageberechtigt an den EuGH seien.

Verstoß gegen ordre public
Auf Grundlage dieser rechtlich und tatsächlich umfassenden Prüfung sahen die Karlsruher Richter in der Kündigung des Pachtvertrages unzulässigen Zwang nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 GWB. Indem die Eigentümerin der Pächterin nur die Wahl zwischen der wirtschaftlichen Zusammenführung mit der Konkurrentin oder der Existenzaufgabe ließ, sei das Verhalten wettbewerbswidrig gewesen und die Kündigung gem. § 134 BGB nichtig. Damit verstoße der Schiedsspruch gegen den ordre public und sei gem. § 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO aufzuheben.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.12.2022 09:56
Quelle: www.lto.de v. 19.12.2022

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