Aktuell in der ZKM

Friedensmediation nach der Zeitenwende (Herrberg, ZKM 2022, 167)

Wo steht die (deutsche) Friedensmediation heute? Was bedeutet der russische Angriffskrieg für die Praxis der interessenorientierten Friedensmediation? Antje Herrberg, langjährige Chefberaterin für Friedensmediation im Europäischen Auswärtigen Dienst, analysiert den Status quo und stellt erste Überlegungen zu längerfristigen Konsequenzen der „Zeitenwende“ für die Friedensmediation an. Sie zeigt auf, dass Friedensmediation viel mehr ist als Verhandlung „am Tisch“. Sie unterstreicht zugleich aber auch die Notwendigkeit, das besondere Potential der Friedensmediation als systematischer Ansatz der Konfliktbearbeitung stärker auszuschöpfen.


A. Einleitung

B. Etablierung der Friedensmediation

C. Die Kränkung der Entspannungspolitik

D. Das Dilemma: Dürfen wir mit dem „Teufel“ verhandeln?

E. Wertebasierte Friedensmediation

F. Rahmenabkommen oder funktionelle „Deals“

G. Konfliktanalyse als (nur?) erster Ansatz

H. Fazit: Friedensmediation als Teil des gesellschaftlichen Zeitwandels


A. Einleitung

Seit spätestens dem Jahr 2005, als ich Chefberaterin des früheren Staatspräsidenten und Nobelpreisträgers Martti Ahtisaari war, bin ich als Friedensmediatorin tätig. Als ehemalige Verfechterin einer (Europäischen) Ostpolitik und Friedenspolitik, erzeugte die Invasion Russlands in die Ukraine und die darauffolgende Konfliktdynamik bei mir ein bitteres Erwachen – eine Enttäuschung (m)einer Weltideologie, in der alle Konflikte über Vermittlung gelöst werden können. Ein bitteres Erwachen auch, weil viele Wissenschaftler und Meinungsführer  auf der Grundlage zahlreicher historischer Entwicklungen eine Reaktion Russlands vorausgesehen hatten, die sich in einer umfassenden Machtausübung ausdrücken würde, wenn der Westen nicht eine grundlegende Umgestaltung des Sicherheitssystems in Angriff nehmen und auf eine tiefgreifende Aussöhnung mit Russland hinarbeiten würde.

Was bedeutet diese möglicherweise vermeidbare Katastrophe für die Praxis der mediativen Konfliktbeilegung? Bedeutet dieser Umbruch auch das Ende der interessenorientierten (Friedens)Mediation als tragendes Instrument der Konfliktbeilegung im 21. Jahrhundert? Oder bieten sich auch Möglichkeiten einer neuen, noch zu verhandelnden Friedens-Weltordnung?

B. Etablierung der Friedensmediation

Friedensmediation ist in der Praxis als ein Oberbegriff zu verstehen, der eine Reihe von Praktiken und Instrumenten zur Bearbeitung von inner- und (weniger) zwischenstaatlichen Konflikten beinhaltet. Diese umfassen die Mediation am Verhandlungstisch, die Unterstützung von Friedensverhandlungen sowie auch mediationsanaloge Dialogprozesse. Viele Rollen der Friedensmediation werden oft von externen, staatlichen Akteuren wie Deutschland oder der Europäische Union unterstützt.

Die Antwort auf die hier gestellte Frage „Wohin mit der Friedensmediation?“ betrifft vor allem die Diplomatie der internationalen Gemeinschaft, insbesondere die der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, Afrikanischen Union und der OSZE, die sich auf diese Praxis immer gestützt haben. So haben auch (vormals) neutrale Staaten wie die Schweiz und Finnland sowie zivile Krisenakteure wie Schweden oder Deutschland aus pragmatischen, ideologischen oder strategischen Gründen die Friedensmediation zu einem mehr oder weniger wichtigen Bestandteil ihrer außenpolitischen Doktrin gemacht. Warum? Spätestens nach der Invasion des Iraks im Jahr 2003 erkannte die internationale Gemeinschaft die Grenzen der Diplomatie und hat die damit verbundene öffentliche Kontrolle und Kritik kennengelernt. Tausende von Friedenstruppen und Soldaten starben als Folge von Konflikten und Interventionsstrategien. Milliarden von Steuergeldern wurden für militärische Interventionen ausgegeben. Das Scheitern an der nachhaltigen Lösung von Konflikten und dessen politische und wirtschaftliche Folgen beförderte den Einstieg in die Etablierung der Methode der Friedensmediation. Es wurde militärisch abgerüstet, während Stabilisierung, Friedensmediation, Friedensaufbau, Entwicklungsarbeit sowie Sanktionen sich als gängige Instrumentarien der Diplomatie entwickelten. Dadurch hebt sich dieses Modell von der „traditionellen“ Diplomatie ab, deren Verhandlungspraxis auf Eigeninteressen basiert und im Ansatz auch kompetitive oder Verteilungsverhandlungen beinhaltet. Als sog. Soft-Power-Instrument hat die Friedensmediation die traditionelle Diplomatie erweitert und untermauert, indem sie eine echte und kosteneffiziente Alternative zu Zwangsmaßnahmen wie militärischen Interventionen und machtbasierten Ansätzen oder auch zu klassischen Schiedsverfahren, die den Konfliktparteien nur wenig Entscheidungsbefugnis einräumen, bietet.

Ausgehend vom Impuls deutscher Mediationsspezialisten und Friedensorganisationen, die sich stark für die Professionalisierung und Spezialisierung dieser Praxis in der deutschen Außenpolitik einsetzten, entwickelte sich die Praxis stetig weiter. Dies trug auch zu der Etablierung von Friedensmediation als eine der wichtigsten Praktiken zur Lösung von Konflikten bei – weltweit. Als Ausdruck eines zivilen Kriseninstruments sind Friedensmediationsprogramme seit 2015 auch im deutschen Auswärtigen Amt  fest verankert ebenso sowie in spezialisierten Forschungsinstituten, Stiftungen oder Friedensinstituten – repräsentiert durch den Zusammenschluss „Initiative Mediation Support Deutschland“.  So hat sich das Feld der internationalen Friedensmediation in den letzten 15 Jahren zunehmend als Wachstumsbranche der internationalen Konfliktbearbeitung präsentiert.

In der Praxis sind die Einsatzmöglichkeiten der Friedensmediation vielseitig und erstrecken sich von Frühwarnungssystemen, Konfliktanalyse und Konfliktprävention bis hin zur Begleitung von Waffenstillstandsverhandlungen, der Umsetzungsarbeit von Abkommen, der Ausbildung von Diplomaten und Verhandlungsparteien sowie der Unterstützung der mit dem Verhandlungsprozess verbundenen politischen Reformprozesse auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen. Oft heißt es, die Diskussionen und Lösungen am Verhandlungstisch in konkrete und vielfach komplexe Maßnahmenpakete umsetzen zu wissen – auch in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft, die diese finanziert. Pure Sach- und Methodenkompetenz allein reichen dem Friedensparkett nicht aus; es bedarf regelmäßig der politischen Unterstützung auf vielerlei Ebenen – regional, national, international. Hinzu kommt, dass die etablierte, zugegebener Weise auch vom (englischsprachigen) Westen entwickelte „Doktrin“ der Friedensmediation – verankert in der UN Guidance für Friedensmediation  – zunehmend in postkolonialen Ländern als unerwünschte Intervention angesehen wird. Weshalb die internationale Gemeinschaft heute Kapazitäten sowie Kompetenzen größtenteils regionalen Organisationen wie bspw. der Afrikanischen Union überträgt und eher unterstützend von außen durch politisch-diplomatische Teilnahme wirkt. Wie lässt sich Erfolg in der Friedensmediation bemessen?

Nun ist es zulässig, die Praxis der Friedensmediation angesichts des Weiterbestehens von schwierigen Konflikten und der Entstehung neuer Herausforderungen wie Terrorismus, Digitalisierung und Klimawandel zu hinterfragen. So stellte man sich auch in der Ukraine seit 2013 anhand der Minsker Verhandlungen zwischen Russland, Ukraine, Deutschland und Frankreich die existenzielle Frage, ob und wie Mediation eine sinnvolle Praxis oder nur ein Mittel für die Aufrechterhaltung eines Status quo ist.  Zu berücksichtigen ist darüber hinaus die zunehmende Regionalisierung von Konflikten, die Nichteinhaltung internationaler Normen, die Degeneration eines „code diplomatique' oder das Scheitern einer mobilisierten gemeinsamen internationalen Verantwortung. All diese Aspekte stellen eine enorme Herausforderung für die Erhaltung des internationalen Friedens und die transformative Arbeit der internationalen Friedensmediation dar.

Kann die Friedensmediation in diesen Zeiten noch dienen, unsere Welt friedlicher zu machen? Die Beantwortung der Frage führt zwangsläufig zu der Folgefrage, wie der Erfolg von Friedensmediation zu bemessen ist. Die Effektivität oder Effizienz der Mediationspraxis zu messen, fängt schon mit der Herausforderung an, überhaupt „Frieden“ zu definieren. Der Gründer der Friedensforschung Johan Galtung  unterschied zwischen negativen (die Abwesenheit von Gewalt oder Angst vor Gewalt) von positivem Frieden (eine gesellschaftliche Haltung, die transformativ für deren Institutionen ist). Heute wird oft der Erfolg eines Friedensabkommens an der Anzahl der Jahre des darauffolgenden Friedens gemessen.

Statistiken zeigen, dass von 117 analysierten Konflikten in einer Zeitspanne von 35 Jahren 40,2 Prozent mit einem Friedensabkommen endeten, während 47,9 Prozent ungelöst blieben.  Experten weisen auf ein 40-prozentiges Scheitern von Friedensverhandlungen hin,  wobei vernachlässigt wird, dass die Bemühungen einen Prozess überhaupt aufzubauen, bereits wesentlich zu einer Deeskalation beitragen können. Die Erfolgs-Beurteilung sollte folglich nicht am Abschluss eines Abkommens festgemacht werden. Die wirkliche Herausforderung liegt vielmehr in der Implementierung von Abkommen und deren längerfristige Begleitung durch Friedensaufbau (peacebuilding) und (Wieder)Versöhnung entzweiter Gesellschaften.

Friedensprozesse u. Mediation: Fakten aus dem Jahr 2021 

37 Friedensprozesse

32 aktive bewaffnete Konflikte

33 (89 %) davon werden von einer Drittpartei verhandelt

56 % aller bewaffneten Konflik- te werden verhandelt.

31 werden mediiert

53 % aller bewaffneten Konflik- te haben mehr als 1.000 Todes- fälle zu beklagen.

3 Abkommen (Mali/Sudan/ Süd Sudan)

Die meisten Mediationen kommen durch Druck der Zivilgesellschaft zustande.

Der Frauenanteil in Friedensmediationen macht lediglich 23 % aus.

 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.10.2022 09:33
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite