Aus der ZKM

"Angeordnete" Mediationen - Probleme und Lösungen am Beispiel innerbetrieblicher und innerbehördlicher Mediation (Kracht, ZKM 2022, 89)

Obwohl vielfach neue Führungsstile propagiert werden, herrscht im Moment in großen Teilen der Wirtschaft, aber auch innerhalb von Behörden noch häufig ein hierarchisch geprägtes Führungsmodell vor. Dies bedeutet, dass der Vorgesetzte oder Manager es zu seinem Tätigkeitsprofil zählt, aufkommende Konflikte in seinem Bereich zu „managen“. Dementsprechend werden Konflikte häufig über „die Hierarchie“ gelöst: die nächsthöhere Ebene entscheidet, was im Falle eines Konfliktes zu tun ist; Streithähne werden als probates Mittel zur Konfliktlösung einfach versetzt. Einem ähnlichen Muster folgen auch innerbetriebliche oder innerbehördliche Streitigkeiten zwischen Abteilungen oder Bereichen, hier kann es im Extremfall zu einer Umgruppierung kommen, die auch in der Auflösung einer bestimmten Abteilung bestehen kann.

I. Betroffene Mediationsprinzipien
II. Gefährdung der Freiwilligkeit
III. Gefährdung der Vertraulichkeit
IV. Gefährdung der Neutralität/Unabhängigkeit
V. Gefährdungen der Informiertheit
VI. Gefährdungen der Eigenverantwortlichkeit
VII. Besonderheiten bei einem internen Mediator
VIII. Besonderheiten bei der innerbehördlichen Mediation
IX. Fazit



Innerbetriebliche bzw. innerbehördliche Mediationen werden infolgedessen fast immer vom Vorgesetzten, oder allgemeiner gesagt, Unternehmensseite/Behördenseite initiiert. Die Betroffenen haben dabei wenig Möglichkeiten, einer solchen Mediation auszuweichen: für diesen Fall drohen arbeitsrechtliche Sanktionen oder beamtenrechtliche Nachteile. Daher spricht man in solchen Fällen von angeordneten Mediationen, da den Beteiligten von Dritten die Durchführung eines Mediationsverfahrens „auferlegt“ wird. 2 Dementsprechend muss ein Mediator in diesem Bereich einige Dinge beachten, um eine Mediation lege artis durchführen zu können. Im Folgenden werden zunächst die Probleme beleuchtet, die bei allen Mediationen innerhalb einer Organisation eine Rolle spielen, bevor die Sonderrolle von sog. „internen Mediatoren“ und das Spezialgebiet von behördeninternen Mediationen behandelt wird.

I. Betroffene Mediationsprinzipien
Mit der Einführung des Mediationsgesetzes hat der Gesetzgeber die grundlegenden Prinzipien eines Mediationsverfahrens bestätigt. Nach §§ 1, 2 Abs. 6 MediationsG sind dies die Vertraulichkeit, die Freiwilligkeit, die Informiertheit, die Eigenverantwortlichkeit und – ganz besonders wichtig – die Neutralität und Unabhängigkeit des Mediators. Ob die Strukturiertheit des Verfahrens, die ebenfalls in § 1 Abs. 1 MediationsG genannt wird, ein eigenes Prinzip der Mediation oder lediglich eine Beschreibung des Verfahrensablaufs ist, spielt als eher theoretische Frage in diesem Zusammenhang keine besondere Rolle.

Welche dieser genannten Prinzipien sind aber im Bereich der innerbetrieblichen bzw. innerbehördlichen Mediation mit besonderer Sorgfalt zu behandeln? Dazu ein Beispiel:

In einer Software Entwicklungsfirma ist ein Team für das Design eines neuen Programms verantwortlich. Das Team besteht aus fünf Mitgliedern, die hervorragend miteinander auskommen. Dies ändert sich schlagartig, als der bisherige Teamleiter die Firma wechselt. Zum neuen Teamleiter wird vom Abteilungsleiter X A bestimmt, obwohl das Teammitglied B bereits 6 Jahre länger in der Firma ist. B hatte A anfangs ins Team eingeführt und die beiden waren seither auch in der Zusammenarbeit als das „dynamische Duo“ bekannt. Obwohl der Teamleiter an sich über keine großen Kompetenzen verfügt, knirscht es nun zwischen A und B gewaltig. Nachdem der Output des Teams nach einem halben Jahr deutlich gesunken ist, schaltet sich X ein und verordnet beiden eine Mediation, um die Sache zu klären. Die Firma werde einen externen Mediator beauftragen und die Kosten übernehmen. X will fortlaufend über die Fortschritte im Mediationsverfahren unterrichtet werden. Werden sich die beiden nicht einig, droht X damit, einen oder sogar beide zu entlassen, schließlich sei dies kein Kindergarten, man werde sich doch wohl zu einem professionellen Zusammenarbeiten „zusammenraufen“ können.

Im Beispiel „verordnet“ der Abteilungsleiter den beiden Konfliktbeteiligten eine Mediation, was grundsätzlich zunächst einmal mit dem Prinzip der Freiwilligkeit kollidiert. Ein weiteres betroffenes Prinzip ist die Vertraulichkeit, denn grundsätzlich ist die Vertraulichkeit innerhalb der Mediation die Voraussetzung dafür, dass die Parteien in einer geschützten Sphäre alle Informationen offenlegen können. Dies führt möglicherweise auch zu einer Beeinträchtigung des Prinzips der Informiertheit, wenn wegen fehlender Vertraulichkeit bestimmte Informationen von den Medianden zurückgehalten werden. Durch den aufgebauten arbeitsrechtlichen Druck wird unter Umständen auch die Eigenverantwortlichkeit der Parteien tangiert, denn für eine Nicht-Einigung werden vom Abteilungsleiter bestimmte Konsequenzen angedroht. Schließlich kann auch die Neutralität und Unabhängigkeit des Mediators gefährdet sein, da er vom Unternehmen bezahlt wird und deshalb gegenüber den beteiligten Medianden als nicht uneingeschränkt neutral, sondern als verlängerter Arm des Arbeitgebers wahrgenommen werden könnte.

II. Gefährdung der Freiwilligkeit
Beginnen wir mit dem Prinzip der Freiwilligkeit. Freiwillig im Sinne der Mediation bedeutet, dass die Parteien ohne äußeren Zwang bereit sind, am Verfahren teilzunehmen. Ein solcher Zwang wäre im Übrigen auch kontraproduktiv, weil dann die Einigungsbereitschaft im Sinne eines offenen Verfahrens von vornherein fehlt. Allerdings ist mit diesem Prinzip keine Freiwilligkeit im absoluten Sinne gemeint. Dies liegt daran, dass in Konfliktsituationen immer ein gewisser Lösungsdruck vorhanden ist. Dies kann bei innerbetrieblicher Mediation eine belastende Situation durch ungeklärte Konflikte oder im Täter-Opfer-Ausgleich das drohende Strafverfahren für den Täter sein. Daher kommt ein Verstoß gegen dieses Prinzip nur in Betracht, wenn eine obligatorische Mediation angeordnet würde, d.h. die Parteien in ein Mediationsverfahren gezwungen würden. Im Beispielsfall haben die betroffenen Parteien durchaus eine andere Möglichkeit: Sie können sich dem Mediationsverfahren verweigern und den Konflikt mit arbeitsrechtlichen Mitteln austragen. Insoweit ist hier der Druck des Arbeitgebers nicht größer als etwa bei einem Täter-Opfer-Ausgleich. Wichtig ist allerdings, dass der Mediator sicherstellt, dass beide Parteien das Mediationsverfahren jederzeit verlassen können. Dies ist die zweite Komponente des Prinzips der Freiwilligkeit: Eine Mediation wird ohne äußeren Zwang begonnen und die Beteiligten können sie deshalb auch jederzeit wieder verlassen. Der Mediator muss dafür sorgen, dass der Arbeitgeber dieses Vorgehen billigt. Er muss sich also vertraglich zusichern lassen, dass der Arbeitgeber ein Ausscheiden einer der Parteien aus der Mediation nicht negativ sanktioniert. Dies bedeutet nicht, dass keine arbeitsrechtlichen Maßnahmen nach Abbruch der Mediation ergriffen werden können, der Arbeitgeber darf sich aber nicht auf das Verhalten des Arbeitnehmers in der Mediation stützen. Dadurch wird gewährleistet, dass der Arbeitnehmer nach der (abgebrochenen) Mediation genauso dasteht, wie vorher. Unter diesen Rahmenbedingungen kann eine innerbetriebliche/innerbehördliche Mediation durchgeführt werden, ohne das Prinzip der Freiwilligkeit zu verletzen.

III. Gefährdung der Vertraulichkeit
Das Prinzip der Vertraulichkeit soll sicherstellen, dass keine Informationen aus der Mediation nach außen dringen, sofern die Parteien dies nicht wünschen. Den Mediator trifft in diesem Zusammenhang eine sog. doppelte Vertraulichkeit, weil er nicht nur gegenüber außenstehenden Personen zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, sondern auch gegenüber den Parteien z.B. im Falle von Einzelgesprächen. Nur wenn die Parteien einverstanden sind, wird der Mediator Inhalte aus diesen Gesprächen in die gemeinsame Mediationsrunde einbringen. Die Vertraulichkeit wird im Mediationsgesetz in den §§ 1, 4 geregelt. Danach ist es Mediatoren verboten, „alles, was ihnen in Ausübung ihrer Tätigkeit bekannt geworden ist“ weiterzugeben, es unterliegt der Verschwiegenheit. Die Verschwiegenheit kann nur unter bestimmten Umständen, etwa wenn eine Gefährdung des Kindeswohls oder der physischen oder psychischen Integrität einer Person besteht (§ 4 S. 3 Nr. 2 MediationsG), zur Durchsetzung der Abschlussvereinbarung eines Mediationsverfahrens (§ 4 S. 3 Nr. 1 MediationsG) oder wenn es sich um sog. offenkundige Tatsachen handelt (§ 4 S. 3 Nr. 3 MediationsG), durchbrochen werden. Diese Ausnahmen werden bei innerbetrieblichen/innerbehördlichen Mediationen in aller Regel nicht einschlägig sein.

Viel wichtiger ist in diesem Kontext der Verzicht der Parteien auf bestimmte Vertraulichkeitsregeln. Die Medianden können über das Maß der Vertraulichkeit disponieren. Bezogen auf den Beispielsfall bedeutet dies nun, dass es kontraproduktiv wäre, wenn der Mediator dem Abteilungsleiter praktisch fortlaufend über den Fortgang berichten würde. Dies würde zu einem Vertrauensverlust der Medianden führen, weil sie den Mediator nicht mehr als neutral, sondern als im Lager des Vorgesetzten stehenden Verhandlungshelfer sehen könnten. Der Mediator muss daher in seiner vertraglichen Vereinbarung mit dem Unternehmen bzw. Dienstherren die Vertraulichkeit schützen und eine Weitergabe von Informationen von der Zustimmung der Parteien abhängig machen. Dies stärkt die Position des Mediators gegenüber den Medianden, weil er sich in diesem Fall gegenüber dem Unternehmen durchsetzt, aber auch seine Position gegenüber dem Auftraggeber: Er kann sich hier auf das Mediationsgesetz berufen und unter Compliance-Gesichtspunkten seine Fachlichkeit nachweisen. Hinzu kommt, dass im Falle eines erfolgreichen Abschlusses einer Mediation die Parteien in aller Regel dieses Ergebnis auch an den Arbeitgeber weitergeben wollen, weil damit der Konflikt gelöst ist. ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.07.2022 11:31
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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