Aus der ZKM

Einzelgespräche und die Lösung von Verteilungsfragen in der Mediation (ZKM 2022, 57 ff.)

von Jannes Drechsler, Doktorand, Goethe-Universität Frankfurt

Verteilungsfragen sind häufig Quelle schwerwiegender Konflikte in Mediationsverfahren. Im Rahmen dieses Beitrags wird gezeigt, wie durch die zielgerichtete Nutzung von Einzelgesprächen Verteilungskonflikten entgegengewirkt werden kann. Aus einer systematisierenden Analyse anhand des PPP Negotiation Model werden praktische Hinweise zur Gestaltung des Mediationsverfahrens abgeleitet.


A. Einleitung

B. Die Herausforderung der Verhandlung über Verteilungsfragen

I. Verhandlungsdilemma

II. Distributives Verhandeln

C. Ansätze in Einzelgesprächen

I. Prozess-Level

1. Trennung von Wertgenerierung und Wertverteilung

2. Kommunikationsförderung

3. Umgang mit mehreren Parteien

II. Personen-Level

1. Separierung der Personen und des Problems

2. Anpassung an Persönlichkeiten

3. Ausgleich von Asymmetrien zwischen den Parteien

4. Umgang mit Emotionen

III. Problem-Level

1. Nichteinigungsalternativen: Bestimmung des Kräfteverhältnisses

2. Parteiinteressen: den distributiven Konflikt entschärfen

3. Einigungsoptionen: Shuttle Diplomatie

D. Risiken und Probleme der Einzelgespräche

E. Fazit


A. Einleitung

Einzelgespräche stellen im anglo-amerikanischen Rechtsraum weiter das Standardverfahren der Mediation dar. Dabei begegnen sich die Parteien regelmäßig nur zu Beginn des Verfahrens im Plenum; im weiteren Verlauf bewegt sich der Mediator dagegen zwischen den in separaten caucuses befindlichen Parteien hin und her. Im kontinentaleuropäischen Rechtsraum wird dieser Ansatz zwar wahrgenommen und sein Nutzen diskutiert,  er ist hier jedoch weiterhin weniger stark verbreitet.  Unabhängig vom Rechtsraum stehen jedoch Verteilungsfragen häufig im Zentrum von Mediationsverfahren. Gegenstand dieses Beitrags ist, zu zeigen, inwieweit die zielgerichtete Nutzung von Einzelgesprächen in der Mediation den Umgang mit Verteilungsfragen erleichtern kann.

Dazu soll zunächst die besondere Herausforderung von Verhandlungen über Verteilungsfragen skizziert werden (B). Anschließend werden durch Anwendung des PPP Negotiation Model: Problem, People, Process  die unterschiedlichen Ebenen aufgezeigt, auf denen Mediatoren die mit Verteilungsfragen verbundenen Herausforderungen durch Einzelgespräche adressieren können (C). Abschließend wird auf die Risiken der Mediation über Einzelgespräche verwiesen, die zu beachten sind, um die Verhandlung über Verteilungsfragen effektiv zu gestalten (D).

B. Die Herausforderung der Verhandlung über Verteilungsfragen

Während hinsichtlich der Generierung von Werten die Interessenlagen der Parteien einer Mediation übereinstimmen, stehen sie sich in Verteilungsfragen häufig diametral entgegen. Jede Partei möchte ein möglichst großes Stück des zu verteilenden Kuchens erlangen. Verteilungsfragen sind daher die Quelle schwerwiegender Konflikte. Ein effektives Prozessmanagement des Mediators ist erforderlich, um die Zerstörung von Werten zu vermeiden und die Grundlage für eine Einigung im Interesse aller Parteien zu legen.

I. Verhandlungsdilemma

Die Herausforderung von Verteilungsverhandlungen lässt sich entsprechend dem spieltheoretischen Konzept des Gefangenendilemmas als Verhandlungsdilemma darstellen.  Demnach lässt sich zeigen, dass es für eine Partei in der Verteilungsverhandlung rational ist, sich unkooperativ zu verhalten, also so viel des zu verteilenden Wertes wie möglich für sich zu beanspruchen, anstatt sich auf die Generierung von Wertvorteilen durch die Verhandlung zu konzentrieren, was schließlich zu einer Reduzierung der insgesamt unter den Parteien zu verteilenden Wertvorteile führen kann.  Distributive Verhandlungstaktiken können sowohl durch die Angst motiviert sein, von der anderen Partei ausgebeutet zu werden, als auch durch die Möglichkeit, die andere Partei selbst auszubeuten.

II. Distributives Verhandeln

Da Parteien in distributiven Verhandlungen auf die Maximierung der eigenen Position fokussiert sind, gelingt es häufig nicht, anderen Parteien hinreichend zuzuhören und sich in diese hineinzuversetzen. In der Konsequenz sind die Parteien anfällig für Missverständnisse, die den Konflikt im Extremfall eskalieren lassen können.  Der schädliche Effekt dieses notorischen Kommunikationsdefizits kann durch distributive Verhandlungstechniken der Parteien verstärkt werden. Dabei handelt es sich etwa um die Täuschung über Nichteinigungsoptionen, Ausschluss unerwünschter Einigungsoptionen durch Selbstbindung, das Werfen von Wahrnehmungsankern sowie Täuschungen über Interessen und Bedürfnisse.

C. Ansätze in Einzelgesprächen

Zur Strukturierung der Analyse des Nutzens von Einzelgesprächen in distributiven Verhandlungskonstellationen wird im Folgenden das PPP Negotiation Model: Problem, People, and Process von Eidenmüller und Hacke herangezogen. Zwar können die drei Dimensionen des Modells (Problem, Personen und Prozess) aufgrund mit der Mediation verbundenen dynamischen Entwicklungen nicht streng separiert werden, der Ansatz hilft jedoch, der für den Mediator notwendigen Analyse eine gewisse Ordnung zu verleihen.

I. Prozess-Level

1. Trennung von Wertgenerierung und Wertverteilung


Der Umstand, dass der Mediator im Rahmen von Einzelgesprächen zwischen den Parteien hin und her pendeln muss, erleichtert die Trennung von Wertschaffungs- und Wertverteilungsfragen. Die Separierung hilft den Parteien, sich des potentiellen maximalen Werts der Verhandlungssituation bewusst zu werden, ohne zunächst von Fragen der Verteilung beeinflusst zu werden.

2. Kommunikationsförderung

Einzelgespräche erleichtern sowohl den Umgang mit unterschiedlichen von den Parteien gesprochenen Sprachen als auch mit kulturellen Hintergründen, da der Mediator sich isoliert mit diesen auseinandersetzen kann.  Das ist deswegen im Rahmen von Verteilungsfragen besonders relevant, da bei Mediation im Plenum auf verbaler oder non-verbaler Kommunikation basierende Missverständnisse zum Abbruch kooperativen Verhaltens führen können. Der Umgang mit formalen Aspekten wie der gesprochenen Sprache im Plenum kann zudem den Fokus der Parteien von dem materiellen Verhandlungsgegenstand ablenken.

3. Umgang mit mehreren Parteien

Die Beteiligung mehrerer Parteien an einem Mediationsverfahren erhöht die Komplexität distributiver Verhandlungstechniken, insbesondere wenn die Parteien voneinander unabhängige Interessen verfolgen. Das Führen von Einzelgesprächen ermöglicht dem Mediator zu entscheiden, in welcher Sache Gespräche unter strikter Trennung der Parteien angezeigt sind, und zu welcher Frage die Verhandlung unter gleichzeitiger Anwesenheit einiger der Parteien zielführend ist.  Somit kann der Mediator bei Bedarf die unterschiedlichen distributiven Verhandlungstaktiken separat in den Einzelgesprächen adressieren, ohne stets alle Positionen zur gleichen Zeit berücksichtigen zu müssen.

II. Personen-Level

1. Separierung der Personen und des Problems


Die Separierung von Personen und Problemen ist eine häufig empfohlene Taktik in Verhandlungssituationen. Persönliche Konflikte können, da sie tendenziell die Parteien emotional aufwühlen, zu dem die Verhandlung dominierenden Element werden, was die Lösungsfindung basierend auf den Interessen der Parteien erschwert. Das gilt insbesondere, wenn die Parteien starke negative Gefühle gegeneinander haben, die einen dynamischen Prozess übermäßiger Wertbeanspruchung auslösen können. Dies soll nachstehend anhand einiger konkreter Aspekte des Personen-Levels der Mediation verdeutlicht werden. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.05.2022 11:59

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