Aus der ZKM

Freiberufliche Mediation als Leistung des SGB VIII (ZKM 2022, 49)

von Prof. Dr. Barbara Schermaier-Stöckl

Mediation finanziert durch das Jugendamt scheint eine Win-Win-Lösung zu sein: Für einkommensschwache Familien, weil sie Zugang zur Mediation erhalten, und für Mediatoren, weil sich Mediation als Form der Konfliktlösung im Bewusstsein in der Breite der Gesellschaft verankert. Beide Perspektiven klingen verlockend, aber passen freiberufliche Mediation und die Finanzierungslogik des SGB VIII zusammen?


A. Mediation als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe

I. Mediation im SGB VIII

II. Rechtsanspruch auf Familienmediation

III. Mediatoren als Träger der Kinder- und Jugendhilfe

B. Finanzierung von freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe und ihrer Leistungen

I. Zuwendungsfinanzierung für direkte Inanspruchnahme von Leistungen

II. Entgeltfinanzierung von Leistungen unter Steuerungsverantwortung des Jugendamtes

III. Entgeltfinanzierung bei direkter Inanspruchnahme von Leistungen

IV. Finanzierung selbstbeschaffter Leistungen

C. Fazit


A. Mediation als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe

Die AG Rechtspolitik der BAFM Verbandskonferenz fordert in einem „Diskussionspapier zur Förderung der Familienmediation“ u.a., Mediation deutlicher als bisher „in das System der Kinder- und Jugendhilfe einzubetten“. Mediation findet noch nicht die Akzeptanz, die mit Einführung des Mediationsgesetzes 2012 angestrebt wurde. Ein Grund dafür sei die fehlende finanzielle Förderung. Vom Jugendamt finanzierte Mediation eröffne auch einkommensschwachen Familien einen niedrigschwelligen Zugang zu Mediation. Aus dem Wunsch- und Wahlrecht des § 5 SGB VIII wird ein Anspruch auf Finanzierung von Mediation abgeleitet. Hierdurch initiiert befragt der Praxisbeirat der BAFM seit Ende 2021 seine als Familienmediatoren tätigen Mitglieder, inwieweit eine Finanzierung von Mediation durch das Jugendamt bisher (mit Erfolg) versucht wurde. Diese Möglichkeit scheint in der Praxis bisher kaum eine Rolle zu spielen. Ob zu Recht, oder ob hier noch ein Feld liegt, das für die Mediation erschlossen werden kann, soll im Folgenden analysiert werden.

I. Mediation im SGB VIII

§ 1 SGB VIII benennt als Ziel der Kinder- und Jugendhilfe die Verwirklichung des Rechts junger Menschen auf Förderung ihrer Entwicklung und Erziehung zu selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten. Die Jugendhilfe soll dies u.a. dadurch fördern, dass Eltern bei der Erziehung beraten und unterstützt werden. Diese Zielformulierung bildet den Rahmen und die Grenze der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe. Das Jugendamt stellt die Qualität der Angebote im Hinblick auf die Ziele sicher.

Mediation als Verfahren zur Konfliktregelung ist geeignet die Ziele des SGB VIII zu verwirklichen. Familienmediation findet statt im Rahmen von Partnerschafts-, familiären Krisen- und Konflikt-, Trennungs-, Scheidungs-, Sorgerechts- und Umgangsberatung nach §§ 17, 18 SGB VIII. Damit ist sie eingebettet in die Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie (§§ 16–21 SGB VIII) und kommt nur dann als Leistung des SGB VIII in Betracht, wenn die Verantwortung für das Kind oder den Jugendlichen und seine Erziehung im Fokus stehen. Die Lösung von Konflikten, die nur das Elternpaar betreffen, gehört nicht zum Anwendungsbereich des SGB VIII. In der Praxis lässt sich eine Trennung von kind- und paarbezogenen Konflikten meist nicht vornehmen. Die Fragen, wer in der ehelichen Wohnung bleibt, wie Hausrat und Vermögen aufgeteilt werden usw., betreffen in aller Regel auch die Belange der Kinder. Die Regelung dieser Fragen ist dann die Voraussetzung für eine kindeswohldienliche Gesamtlösung und der notwendige Kindbezug liegt vor. Lassen sich diese Fragen aber trennen, z.B. wenn in einer Beratung oder Mediation eine Einigung über das Sorge- und Umgangsrecht erreicht wurde, eine endgültige Einigung über die anderen Scheidungsfolgen aber noch nicht, dann wäre die Regelung dieser Frage nicht mehr vom Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe umfasst. Tatsächlich bieten manche Jugendämter selbst oder über Beratungsstellen im Rahmen der §§ 17, 18 SGB VIII kostenfreie Mediation an. Eine Möglichkeit weitergehender Förderung von Mediation durch die Jugendhilfe nach §§ 17, 18 SGB VIII wird in der Literatur zum Mediationsrecht nicht gesehen.

Neben den Leistungen der §§ 17, 18 SGB VIII könnte Mediation als eine Form der Hilfe zur Erziehung entweder im Rahmen der Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII oder einer individuellen Hilfe nach § 27 Abs. 2 SGB VIII in Frage kommen. In beiden Fällen muss ein erzieherischer Bedarf (eine erzieherische Mangellage) vorliegen, weil eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und es für die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen einer notwendigen und geeigneten Hilfe bedarf (§ 27 Abs. 1 SGB VIII). Häufig führen Konflikte der Eltern zu massiven Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder und damit zu einer erzieherischen Mangellage. Ob Mediation in diesen Fällen die notwendige und geeignete Hilfe ist, muss nach § 27 Abs. 2 SGB VIII vom Jugendamt festgestellt werden.

II. Rechtsanspruch auf Familienmediation

Eltern haben einen Rechtsanspruch auf die Beratungs- und Unterstützungsangebote nach §§ 17, 18 SGB VIII, Umgangsberechtigte haben einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung nach § 18 Abs. 3 SGB VIII, und Personensorgeberechtigte haben einen Anspruch auf Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII. Das SGB VIII kennt keinen Anspruch auf ein bestimmtes Verfahren oder eine bestimmte Methode. Allerdings ergibt sich aus der Gesamt- und Planungsverantwortung des Jugendamtes die Verpflichtung, eine plurale, bedarfsgerechte Angebotsstruktur zu schaffen (§§ 3, 79 SGB VIII), um die Rechtsansprüche erfüllen zu können. Konkretisiert werden die Rechtsansprüche auf unterschiedliche Weise:

  • Die Angebote nach §§ 17, 18 SGB VIII und Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII können von den Adressaten direkt in Anspruch genommen werden. Die Jugendämter als Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben die Pflicht dies zu ermöglichen.
  • Hilfen zur Erziehung nach § 27 ff. SGB VIII werden im konkreten Einzelfall im Rahmen von Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII in der Steuerungsverantwortung des Jugendamtes gewährt.


Eine maßgebliche Rolle bei der Verwirklichung der Rechtsansprüche kommt dem individuellen Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten nach § 5 SGB VIII zu. Das Wahlrecht ermöglicht den Leistungsberechtigten zwischen den bestehenden Angeboten zur gleichen Leistung verschiedener Träger zu wählen. Das Wunschrecht bezieht sich auf die Gestaltung der Leistung. Voraussetzung ist, dass die Erfüllung nicht zu unverhältnismäßigen Mehrkosten führt. Außerdem beinhaltet das Wunsch- und Wahlrecht keinen Anspruch auf Schaffung neuer Einrichtungen und Dienste und ist auch „keine Rechtsgrundlage für die autonome Inanspruchnahme von Leistungen“. Gibt es bereits Mediationsangebote im bestehenden Leistungsangebot der Kinder- und Jugendhilfe, bleibt kein Platz für einen Rechtsanspruch auf Übernahme der Kosten für eine frei gewählte Mediation. Dies gilt zumindest für die niedrigschwelligen und direkt abrufbaren Leistungen nach §§ 17, 18 und 28 SGB VIII. Für diese existiert die objektive Rechtsverpflichtung, dass im Bereich der Jugendhilfeplanung auf ein möglichst vielfältiges Angebot zu achten ist und das Jugendamt im Rahmen seiner Planungen konkrete Bedarfslagen ermitteln muss. Darüber hinaus findet keine individuelle Bedarfsprüfung statt.

Im Bereich der Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII kann sich ein individueller Rechtsanspruch auf Mediation ergeben. Wenn der erzieherische Bedarf nur durch Mediation gedeckt werden kann, das vorhandene (Mediations-)Angebot nicht geeignet und ein Zurückgreifen auf freiberufliche Mediatoren notwendig ist, z.B. wenn eine besondere Expertise erforderlich ist (wie interkulturelle Kompetenz, Erfahrung mit internationalen Kindschaftskonflikten, etc.), kann im Rahmen des Wunsch- und Wahlrechts und der Verhältnismäßigkeitsprüfung des Mehrkostenvorbehalts ein Rechtsanspruch auf (freie) Mediation bestehen.

III. Mediatoren als Träger der Kinder- und Jugendhilfe

Das Jugendamt trägt die Gesamtverantwortung für die Erfüllung der Aufgaben des SGB VIII. Im Rahmen der kommunalen Jugendhilfeplanung muss sichergestellt werden, dass die erforderlichen und geeigneten Dienste zur Verfügung stehen (§ 79 SGB VIII). § 3 SGB VIII betont als Kennzeichen der Jugendhilfe die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierung und Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen. Auf dieser Basis kann Familienmediation eine Leistung sein, die entweder von den Jugendämtern selbst angeboten wird, oder von Trägern der freien Kinder- und Jugendhilfe (z.B. Beratungsstellen). (...)



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.04.2022 16:34
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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