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Priming im Konfliktmanagement und in der Mediation (Kolodej, ZKM 2022, 15)

In der Psychologie spricht man von Priming, wenn ein bestimmter Reiz die nachfolgenden Denk-, Gefühls- und Verhaltensweisen, die mit diesem im Zusammenhang stehen, beeinflusst. Priming-Effekte sind Bestandteil jeder Mediation und jeder Konfliktintervention; sie können nicht eliminiert werden. Sie bewusst zu steuern, zählt zu den Kernkompetenzen im Konfliktmanagement und in der Mediation.


A. Prolog

Sie stehen vor der Praxis einer Mediatorin. Fast zeitgleich kommt Ihr Kollege, mit dem Sie im Konflikt sind zum Termin. Sie grüßen sich beiläufig. Die Tür öffnet sich und die Mediatorin lächelt Sie an und sagt: „Willkommen“. Sie treten in einen sehr geräumigen, hellen Raum ein. Er ist angenehm temperiert. An der Decke hängt ein Luster, wie er üblicherweise in Wohnzimmern zu finden ist, es gibt Grünpflanzen. Sie sitzen nun mit gutem Abstand auf einem weichen gepolsterten Stuhl mit Blick zur Mediatorin neben Ihrem Kollegen. Die Mediatorin erläutert unterschiedliche Aspekte zum Thema der Mediation und sagt: „Die Tatsache, dass Sie beide heute hierhergekommen sind, ist schon ein Teil der Lösung, denn es zeigt, dass Sie beide zusammen an einer gemeinsamen Lösung interessiert sind. Die Mediation ist ein Mittel, um Sie auf diesem Weg zu unterstützen.“

Oder es erwartet Sie folgendes Szenario: Sie stehen vor der Praxis der Mediatorin. Fast zeitgleich kommt Ihr Kollege, mit dem Sie im Konflikt sind zum Termin. Sie nicken sich beiläufig zu. Die Tür öffnet sich und die Mediatorin begrüßt Sie beide. Es ist ein klassischer, kleiner Büroraum mit einem quadratischen Tisch und Bürostühlen sowie einem Aktenschrank. Es ist heiß und Sie sind froh, dass Ihnen die Mediatorin den Mantel abnimmt. Sie und Ihr Kollege setzen sich gegenüber. Die Mediatorin erläutert das Verfahren der Mediation und sagt: „Sie sind hierhergekommen, um wichtige Probleme zu lösen, die Sie miteinander haben. Mediation ist eine Form der Vermittlung in Streitfällen durch eine unparteiische Mediatorin, deren Ziel eine einvernehmliche Problemlösung ist.“

I. Was ist Primimg?

Priming beschreibt den Effekt, dass ein (insbesondere bewusst) induzierter Reiz, auch Prime genannt, die Verarbeitung darauffolgender Reize relevant beeinflusst. Das Gehirn nimmt einen Reiz wahr und richtet sich in der Folge danach aus. Dieser Prozess läuft meist unbewusst ab und bewirkt, dass mit diesem zusammenhängende Gedanken, Emotionen und Handlungen schneller hervorgerufen werden, als dies ohne Priming der Fall gewesen wäre. Der vorangegangene Prime kann in allen Sinneskanälen dargeboten werden, sei es durch ein Bild, einen Geruch, ein Wort, einen Geschmack, Musik oder eine simple Geste. Gunther Schmidt definiert Priming als Aufmerksamkeitsfokussierung, durch die unbewusst physiologische und emotionale Reaktionen, Haltungen und Absichten aktiviert werden. Selbst wenn die Person den auslösenden Reiz wahrnimmt, ist sie sich meist dessen Wirkung nicht bewusst.

Eine Vielzahl von Forscherninnen beschäftigt sich mit dem Unterschied zwischen Priming und Framing. Einige verwenden den Begriff synonym. In diesem Sinne kann Framing als Subkategorie des Primings beschrieben werden, da es sich zentral mit Sprache auseinandersetzt, während die Primingforschung auf alle Sinneswahrnehmungen fokussiert. Andere Forscher wiederrum bezeichnen Priming als Zugänglichkeitseffekt, bei dem spezifische Inhalte aufgrund einer Voraktivierung wahrscheinlicher wahrgenommen werden. Framing hingegen wird als Anwendbarkeitseffekt veranschaulicht, bei dem die Art und Weise der Thematisierung zentral ist. Letztendlich besteht hier ein weiterer Forschungsbedarf insbesondere was die zugrunde liegenden Wirkmechanismen betrifft.

II. Wie funktioniert Priming?

Der grundlegende Prozess unserer Wahrnehmung entsteht, indem Reize aus der Umgebung über unsere Sinneskanäle aufgenommen werden. Aufgrund unserer beschränkten Aufnahmekapazität geschieht dies aber zu einem Großteil unbewusst und nur zu einem Teil bewusst. Das menschliche Gehirn registriert den ganzen Tag seine Umgebung. „Aber nur ganz wenig von dem über den Tag hinweg Wahrgenommene gelangt dem Menschen zu Bewusstsein. Vielmehr hin- ZKM 2022, 16terlässt vieles von dem, was den Menschen umgibt und mit was er sich beschäftigt, Spuren im Gehirn und versetzt ihn in Bereitschaft, bestimmte Dinge zu tun, ohne dass er sich jemals bewusst dazu entschlossen hätte.“ Zudem erfolgt die Speicherung des Wahrgenommenen in spezifischer Weise. Würde ich fragen, woran Sie denken, wenn ich „Schuhe“ sage, werden Sie vermutlich mit „Hose“ oder einem anderen Kleidungsstück antworten. Erklärt wird dies mit der Art und Weise, wie Inhalte in unserem Gedächtnis verarbeitet werden. Das semantische Netzwerkmodell postuliert, dass mentale Konzepte, Wörter und Emotionen in unserem Gehirn in einem assoziativ-verbundenen Netz gespeichert sind. Da also Schuhe und Hose beide in dieselbe Kategorie der Kleidungsstücke fallen, ist ihre Nennung wahrscheinlicher als die Erwähnung eines anderen Gegenstandes wie z.B. „Schrank“ aus der Kategorie der Möbelstücke. Durch die Darbietung eines Bahnungsreizes wird eine gewünschte Reaktion begünstig. Wird durch einen Reiz eine Information aktiviert, so werden auch umliegende Informationen stimuliert. Hierbei liegen ähnliche Arten von Informationen enger beieinander als Informationen, die sich unterscheiden. Ein spezielles Gefühl ist dementsprechend mit einer Vielzahl anderer assoziativen Verknüpfungen z.B. Erinnerungen, Vorstellungen, physiologischen Reaktionen verbunden, die in Millisekunden aktiviert werden können. Diese beeinflussen, wie neue Eindrücke verarbeitet werden und bestimmen das Verhalten. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.02.2022 15:15
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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