Aus der ZKM

Smart Contracts - Können „kluge Verträge“ zum Konfliktmanagement beitragen?

von Dr. Anna K. Bernzen, Akademische Rätin und Habilitandin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Informations- und Datenrecht der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Smart Home, Smart City - und nun: Smart Contract? In immer mehr Lebensbereiche hält die Automatisierung Einzug. Dieser Aufsatz untersucht, inwiefern sie auch für die Vertragsdurchführung in Betracht kommt. Theoretisch kann eine entsprechend programmierte Software zur Erfüllung der verschiedensten vertraglichen Pflichten eingesetzt werden. Praktisch stößt ihre Automatisierung jedoch aktuell rasch an Grenzen, die sich aus dem Zusammentreffen von (Informations-)Technik und Recht ergeben.


A. Das Versprechen des selbstvollziehenden Vertrages
B. Was ist ein Smart Contract?

C. Tragen Smart Contracts zur Konfliktvermeidung bei?
I. Theoretische Einsatzmöglichkeiten
II. Technische Grenzen
III. Praktische Einsatzmöglichkeiten
1. Keine rechtliche Wertung nötig
2. Geringe Störungswahrscheinlichkeit
D. Tragen Smart Contracts zur Konfliktlösung bei?
I. Theoretische Einsatzmöglichkeiten und technische Grenzen
II. Praktische Einsatzmöglichkeiten
E. Tragen Smart Contracts nun zum Konfliktmanagement bei?


A. Das Versprechen des selbstvollziehenden Vertrages
Ein Vertrag, der sich selbst vollzieht, ohne dass seine Parteien nach dem Abschluss noch einmal tätig werden müssen: Aus der Sicht des Konfliktmanagements klingt das vielversprechend. Möglich machen sollen es sog. Smart Contracts, die seit einigen Jahren in der Wirtschaft wie in der Rechtswissenschaft wachsende Beachtung finden. Doch was verbirgt sich hinter diesem schillernden Begriff? Und: Inwiefern können „kluge Verträge“ tatsächlich zum Konfliktmanagement bei der Vertragsdurchführung beitragen, und wann ist ihr Einsatz weniger zielführend?

Um diese Fragen zu beantworten, wird im Folgenden zunächst geklärt, was unter einem Smart Contract zu verstehen ist (dazu unter B.). Im Anschluss wird der Beitrag herausgearbeitet, den sein Einsatz zum Konfliktmanagement in einem weit verstandenen Sinn leisten kann: Betrachtet wird zunächst, inwiefern mittels Smart Contracts schon die Entstehung von Konflikten vermieden werden kann (dazu unter C.). Sodann wird geprüft, ob und wie ihr Einsatz dazu beitragen kann, einmal entstandene Konflikte zu lösen (dazu unter D.). Dabei wird sich zeigen, dass von einem selbstvollziehenden Vertrag (noch?) nicht wirklich gesprochen werden kann (dazu unter E.).

B. Was ist ein Smart Contract?
Unter den Oberbegriff des Smart Contracts werden ganz verschiedene rechtliche und tatsächliche Konstellationen gefasst. Hilfreich, weil abstrahiert von der konkreten Ausgestaltung und Anwendung, ist die Definition des Smart Contracts als Software, mit deren Hilfe eine rechtlich relevante Handlung auf Basis eines digital überprüfbaren Ereignisses ausgeführt wird. Handlung und Ereignis sind dabei insofern miteinander verbunden, als das Eintreten des Ereignisses die Bedingung dafür ist, dass die Handlung vorgenommen wird. Ziel ist es, Prozesse so zu automatisieren, dass menschliche Mitwirkung daran entbehrlich wird. Mit der Blockchain, die häufig in einem Atemzug mit Smart Contracts genannt wird, hat das nur bedingt zu tun: Sie bietet lediglich eine von vielen technischen Umsetzungsmöglichkeiten.

Anders als die Bezeichnung Smart Contracts vermuten lässt, wird ihr Einsatz nicht nur für die Durchführung von Verträgen angedacht, sondern auch für die Erfüllung gesetzlicher Rechte und Pflichten. So wird z.B. diskutiert, ob Smart Contracts genutzt werden können, um Ausgleichsansprüche nach der Fluggastrechte-VO zu erfüllen. Dieser Aufsatz konzentriert sich aber auf ihre Verwendung zur Vertragsdurchführung.

C. Tragen Smart Contracts zur Konfliktvermeidung bei?
Smart Contracts können die Vertragsdurchführung theoretisch in einer Vielzahl von Szenarien erleichtern, die im Folgenden zunächst skizziert werden (dazu unter C. I.). Nachdem die technischen Grenzen dargestellt wurden, an die der Softwareeinsatz auf dem heutigen Stand der Technik stößt (dazu unter C. II.), wird allerdings deutlich werden, dass die „klugen Verträge“ derzeit praktisch nur in wenigen Konstellationen tatsächlich einen Mehrwert gegenüber der nicht-automatisierten Vertragsdurchführung schaffen können (dazu unter C. III.)

I. Theoretische Einsatzmöglichkeiten
Smart Contracts könnten zunächst zur Erfüllung der vertraglichen Hauptpflichten eingesetzt werden. Sie könnten dabei insofern zur Konfliktvermeidung beitragen, als mit ihrer Hilfe die Pflichterfüllung selbst ohne menschliche Mitwirkung erfolgen könnte: Tritt das vorab definierte Ereignis ein, wird mithilfe der Software die für die Erfüllung nötige Handlung automatisch ausgeführt, ohne dass der Schuldner noch einmal tätig werden müsste. Voraussetzung dafür ist aber einerseits, dass das Eintreten des Ereignisses digital überprüfbar ist. Dafür muss es regelmäßig durch eine Schnittstelle zur realen Welt, ein sog. Orakel, zuerst in eine der Software zugängliche Form „übersetzt“ werden. Andererseits muss die auszulösende Handlung mithilfe von Software vorgenommen werden können. Daraus folgt, dass die Verwendung von Smart Contracts bereits in der Theorie nicht für alle vertraglichen Hauptpflichten in Betracht kommt.
Auf diese Weise könnten aber insbesondere Zahlungspflichten erfüllt werden. Ein Praxisbeispiel lieferte ein wieder eingestelltes Versicherungsprodukt der AXA: Der Versicherungsnehmer erhielt automatisch eine Entschädigung ausbezahlt (Handlung), wenn sein Flug mindestens zwei Stunden verspätet war (Ereignis). Technisch war die automatisierte Erfüllung gewährleistet, weil beim Abschluss der Versicherung ein Eintrag auf der Ethereum-Blockchain erfolgte. Diese Blockchain wies eine Schnittstelle zu den Flugverkehrsdatenbanken auf, in denen die Verspätung verzeichnet war und die als Orakel fungierten.

Ein weiteres, überwiegend theoretisches Beispiel der Pflichterfüllung mittels Smart Contracts betrifft den Zugang zu digitalen Inhalten, z.B. im Rahmen von Streamingdiensten. Der Zugriff hierauf soll automatisiert freigeschaltet werden können (Handlung), sobald ein Zahlungseingang verzeichnet wurde (Ereignis). Auch im Internet der Dinge sollen Smart Contracts künftig verwendet werden können: So könnte z.B. eine Ferienwohnung mit einem sog. Smart Lock versehen werden, das Gästen nach Überweisung der Miete (Ereignis) automatisch den Zutritt zum Gebäude ermöglicht (Handlung).

Auf etwas andere Weise könnten Smart Contracts zur Pflichterfüllung beitragen, indem sie Vertragsparteien einen starken Anreiz dafür geben, ihren Pflichten nachzukommen. Das könnte insbesondere bei synallagmatischen Verträgen mit Dauerschuldcharakter in Betracht kommen. Hier könnte das Ausbleiben der einen Leistung als das Ereignis festgelegt werden, bei dessen Eintritt die laufende Erbringung der anderen Leistung eingestellt wird. Indem der säumigen Vertragspartei die Leistung ihres Vertragspartners vorenthalten wird, soll sie dazu angehalten werden, ihre eigene Leistung möglichst zeitnah doch noch zu erbringen.

Ein beliebtes, hypothetisches Beispiel hierfür ist ein Smart Contract, in dessen Rahmen überprüft wird, ob der Leasingnehmer die fällige Leasingrate beglichen hat und der, wenn dies nicht der Fall ist (Ereignis), den geleasten Pkw verschließt oder den Start des Motors unterbindet (Handlung). Das Wissen, dass der Pkw bis zur Zahlung der Leasingrate nicht verwendet werden kann, könnte den Leasingnehmer dazu anhalten, pünktlich zu leisten oder die ausgebliebene Zahlung zumindest rasch nachzuholen, wenn ihm dies nicht gelingt.

Auch andere Reaktionen auf Leistungsstörungen lassen sich mithilfe von Smart Contracts theoretisch automatisieren. So könnte z.B. eine geleistete Zahlung nach Abgabe einer Rücktrittserklärung (Ereignis) automatisiert zurückgewährt werden (Handlung). Bestand die erbrachte Leistung darin, dem Vertragspartner Zugriff auf digitale Inhalte zu gewähren, könnte dieser Zugriff automatisch beendet werden (Handlung), wenn die andere Partei („großen“) Schadensersatz statt der Leistung verlangt (Ereignis) und damit deutlich macht, dass sie von der weiteren Vertragsdurchführung absehen will.

II. Technische Grenzen
Diese theoretisch weitreichenden Möglichkeiten, die Vertragsdurchführung durch den Einsatz von Smart Contracts zu automatisieren, stoßen nach aktuellem Stand der Technik aber schnell an Grenzen: Mittels einer Software mag zwar geprüft werden können, ob das auslösende Ereignis eingetreten ist – z.B. ob eine Rücktrittserklärung vorliegt – und daraufhin eine Handlung vorgenommen werden – z.B. eine Rückzahlung. Damit ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, wie dies rechtlich zu bewerten ist – bspw. ob überhaupt ein Rücktrittsgrund besteht.

Das folgt einerseits daraus, dass das Zivilrecht an vielen Stellen Wertungen vom Rechtsanwender verlangt, die mittels einer Software nicht vorgenommen werden können. Das betrifft insbesondere den Einsatz von Smart Contracts als Reaktion auf Leistungsstörungen. Das Leistungsstörungsrecht hält zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe bereit. Um im Rücktrittsbeispiel zu bleiben: Will eine Vertragspartei sich auf diese Weise vom Vertrag lösen, setzt das nach § 323 Abs. 1 BGB prinzipiell voraus, dass sie der anderen Partei eine angemessene Nachfrist gesetzt hatte. Was angemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab – in einem Fall darf die Leistung sofort verlangt werden, in einem anderen sind mehrere Wochen zu kurz. Wo sich ein Fall auf diesem Spektrum bewegt, lässt sich mithilfe eines Smart Contracts jedoch nicht feststellen.

Auch sind Wertungen erforderlich, wo Generalklauseln auszufüllen sind. So kann im Beispiel des Rücktritts seine Unwirksamkeit aus einem Rechtsmissbrauch i.S.d. § 242 BGB folgen, dessen Vorliegen anhand einer umfassenden Bewertung aller Umstände des Einzelfalles zu bestimmen ist, bei der die Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen sind. Auch die dafür nötige Abwägung vorzunehmen, ist im Rahmen eines Smart Contracts aber nicht möglich.

Eine weitere technische Grenze betrifft vor allem den Einsatz von Smart Contracts zur Erfüllung der vertraglichen Hauptpflichten. Die Software wird hier „tätig“, weil und wenn ein Anspruch entstanden ist. Ob dieser Anspruch später untergegangen ist oder seiner Durchsetzung Einreden entgegenstehen, wird dagegen nicht berücksichtigt.

Ein mit dem Leasingbeispiel vergleichbares Szenario, in dem die Nutzung eines Smart Contracts angedacht wird, illustriert dies: Zahlt die Mieterin einer Wohnung ihre Miete nicht oder nicht rechtzeitig, könnte das theoretisch zur Folge haben, dass die Wohnungstür mittels eines Smart Locks versperrt wird, bis sie die Zahlung nachgeholt hat. Weist die Wohnung aber z.B. einen erheblichen Mangel auf, ist die Mieterin nach § 536 Abs. 1 BGB von der Zahlungspflicht (teilweise) befreit. Beseitigt sie den Mangel selbst, kann ihr nach § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB ein Aufwendungsersatzanspruch zustehen, so dass sie dem Vermieter ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB) entgegenhalten kann. Im Rahmen des Smart Contracts könnte aber nur geprüft werden, ob die Zahlung erfolgte oder nicht – und nicht, inwiefern die Mieterin zur Einbehaltung der Miete berechtigt war...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.12.2021 09:45
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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