Aktuell in der ZKM

Nachgefragt: Zur Nachhaltigkeit einer (auch) virtuellen Mediatorenausbildung

Larissa Thole / Rolf Arnold

Pandemiebedingt finden seit gut einem Jahr schulische bzw. universitäre und berufliche Aus- und Fortbildungen überwiegend in digitalen Settings statt. Auch der Mediationsausbildungsmarkt ist digitaler geworden. In Fachkreisen gehen die Meinungen darüber, ob und inwieweit (reine) Online-Ausbildungen ausreichend auf die für die Mediationspraxis erforderlichen Kompetenzen und Fertigkeiten vorbereiten können, auseinander. Anlass für einen vertiefenden Austausch der zuständigen Referatsleiterin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Dr. Larissa Thole, und Prof. Dr. Rolf Arnold, einem der international führenden Experten im Bereich des E-Learnings und der Berufs- und Erwachsenenpädagogik. Anknüpfungspunkt ist der in der letzten Ausgabe der ZKM erschienene Artikel „Ausbildungsprozesse digital gestalten und begleiten“ (Arnold/Schön ZKM 2021, 48 ff.).

Dr. Thole: Sehr geehrter Herr Prof. Arnold, mit großem Interesse habe ich Ihren Beitrag „Ausbildungsprozesse digital gestalten und begleiten“, ZKM 2021, 48 ff., gelesen. Sie führen dabei insbesondere aus, dass für die Frage, ob eine Mediationsausbildung rein online umsetzbar ist, vieles auch von der Einstellung und Haltung der verantwortlichen Ausbildenden abhänge.“ Insoweit vermag ich Ihnen nicht uneingeschränkt zuzustimmen. Nach meiner Vorstellung soll und muss eine Ausbildung die Lehrenden auf die spätere Praxis vorbereiten. Mit Blick auf die Praxis angehender zertifizierter Mediatorinnen und Mediatoren ist zu konstatieren, dass diese die Mediationssitzungen – bis zu Beginn der Pandemie – zu ganz großen und überwiegenden Teilen in physischer Präsenz durchgeführt haben. Dass wir es aufgrund der fortdauernden Pandemie vielleicht mit einer vorrübergehend anderen Situation zu tun haben, vermag m.E. an der Grundfrage nichts zu ändern. Denn auch nach der Pandemie werden (angehende) zertifizierte Mediatorinnen und Mediatoren zumindest auch in physischer Präsenz tätig sein. Und das Rüstzeug hierzu sollten sie m.E. auch in der realen Handlungssituation der physischen Präsenz erlernen.

In diesem Zusammenhang ziehe ich den Vergleich zu Fahrschülern, die das Autofahren erlernen wollen. Rein theoretisch könnte man diese Schüler auch in einen Fahrsimulator setzen und 50 Stunden online durch die Gegend fahren lassen. Ich bin froh, dass dem nicht so ist, sondern dass Fahrschüler und Fahrschülerinnen ihre Fähigkeiten unmittelbar auf der echten Straße und damit im echten Leben erlernen und nachhaltig weiterentwickeln können.

Ein gänzlicher Verzicht auf eine physische Präsenz mit der Folge einer kompletten Online-Ausbildung wäre für mich allein stringent, wenn es etwa einen reinen Online-Mediator gäbe, der keinerlei physisch präsenten Veranstaltungen durchführte. Dann käme es tatsächlich nicht auf die Fertigkeiten bei einer physischen Präsenz an. Wie stehen Sie dazu?

Prof. Dr. Arnold: Sehr geehrte Frau Dr. Thole, zunächst einmal gilt es ein Missverständnis auszuräumen. Nirgends behaupten wir, dass ein Mediatorenausbildung „rein online“ realisierbar sei. Gleichwohl kann vieles, das wir heute noch vielerorts seminaristisch zugänglich machen, komfortabler, anschaulicher und auch lernwirksamer durch eine Nutzung neuer Lernplattformen arrangiert werden. Wir werden in Zukunft auch in der Mediatorenausbildung hybride Ansätze haben.

Im Prinzip sehe ich das genauso, wie Sie: Die Aus- und Fortbildung von Menschen in „helfenden Berufen“ (Lehrkräfte, Beratende, Führungskräfte) setzt die Begegnung und den persönlichen Austausch mit Begleiter(innen) voraus, die sich auch tatsächlich „in Beziehung“ begeben können. Es ist eine besondere Didaktik, die dafür erforderlich ist – eine der Subjekt- und Teilnehmerorientierung, wie wir sie in der Erwachsenenbildung seit vielen Jahrzehnten beobachten können. Ich habe deren Substanz u.a. in meinem Buch „Nichtwissende Beratung. Von der Intervention zur Übung“ (2019) beschrieben.

Nun ist es aber so, dass auch in den erwähnten Berufen einiges gewusst, verstanden und angewendet werden will. Diese Prozesse eines kognitiv-reflexiven Lernens können in wesentlichen Bestandteilen über die neueren Lernplattformen angebahnt, unterstützt und begleitet werden – meist sogar effektiver als dies in Präsenzformen möglich ist. Auch hierzu haben wir viel geforscht und publiziert. So können wir heute z.B. in den Studiengängen der Technischen Universitäten, in denen ca. 70 % der Veranstaltungen als Vorlesungen zu Standardinhalten angebotene werden, diese durch Online-Lernarrangements ersetzen und so den unmittelbaren Kontakt mit den Studierenden in einer Weise erhöhen, wie das in Massenvorlesungen gar nicht denkbar ist. Gleichzeitig können Universitäten sich stärker um die Selbstlernkompetenzen sowie die Persönlichkeitsbildung ihrer Studierenden kümmern, damit diese mit den virtuellen Selbstlernangeboten besser zurechtkommen.

Dr. Thole: Ich glaube, lieber Herr Prof. Arnold, jetzt kommen wir beide uns doch ein wenig näher. In insgesamt fünf Online-Veranstaltungen mit der Mediationsszene habe ich in den vergangenen 12 Monaten mit den Stakeholdern der Branche die Frage diskutiert, ob und inwieweit eine Mediationsausbildung online oder tatsächlich nur in physischer Präsenz durchgeführt werden kann. Das Meinungsbild war völlig indifferent; es wurde von einer kompletten Online-Ausbildung über eine Aufteilung der Stunden bis hin zu der engsten Auffassung der rein physischen Mediationsausbildung alles vertreten.

Nach Abwägung sämtlicher Argumente gelange ich immer mehr zu der Erkenntnis, dass reines Wissen vielleicht wirklich – über gut geschulte Lehrende – online vermittelt werden kann. Die Grenze dürfte aus meiner Sicht aber dort erreicht sein, wo es um die Vermittlung von Kompetenzen und zwischenmenschlichen Aspekten geht, die es tatsächlich zu erfahren gilt. So denke ich etwa an vegetative Abläufe im Körper (Aufregung, Schwitzen, Unsicherheit, Faden verlieren etc.), die man nicht mit dem Willen steuern kann und die man nicht am PC vorführen, sondern nur im echten Leben erfahren kann. In diesem Sinne schreiben auch Sie in Ihrem Beitrag unter dem Stichwort „Anwendung“ auf S. 51: „dass ein Individuum seine Kompetenzen nur dadurch nachhaltig weiterentwickeln oder transformieren kann, wenn es diese auch in realen Handlungssituationen erproben kann.“ Meines Erachtens erfordern solche „reale Handlungssituationen“ eine echte Anwesenheit der Betroffenen vor Ort. Wie stehen Sie dazu?

Prof. Arnold: Ja, das ist so, wobei „Lehrende“ in virtuellen Lernräumen eher selten anzutreffen sind. Dort, wo nachhaltig, d.h. selbstgesteuert und kooperativ, gelernt wird, treten Lernarrangements, welche eine selbstgesteuerte Anwendung des Knowhows ermöglichen an die Stelle einer lehrgesteuerten „Vermittlung“, die einer frontalunterrichtlichen Logik verhaftet bleibt. Letztere ist tatsächlich out und lern- sowie kompetenztheoretisch nicht mehr vertretbar. Deshalb stellt sich auch die Frage, welche Dozentinnen und Dozenten wir in der Mediatorenausbildung einsetzen und nach welchen didaktischen Prinzipien diese agieren. Wahrscheinlich sollten wir uns einer didaktischen Fortbildung dieser Zielgruppe annähern.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.06.2021 14:02
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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