Amazon flüchtet vor teurem Schiedsgericht

Amazon.com verzichtet gegenüber US-Verbrauchern auf den Zwang zu Schiedsgerichten im Streitfall. Seit 3. Mai sehen Amazons Vertragsbedingungen vor, dass Klagen vor öffentlichen Gerichten im US-Staat Washington eingebracht werden müssen, berichtet der Branchendienst Heise Online. Zuvor hatte Amazon, wie andere US-Konzerne auch, die öffentliche Justiz soweit möglich gemieden. Doch dann musste das Unternehmen seine eigene Suppe auslöffeln: 75.000 Verbraucheranträge bei Schiedsgerichten kosteten Amazon dutzende Millionen Gebühren.

Schiedsgerichte arbeiten in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit in vereinfachten Verfahren. Damit entscheiden sie meist schneller als ordentliche Gerichte. Und weil die Entscheidungen geheim sind, können Unternehmen Imageschäden und Folgeforderungen anderer Geschädigter minimieren.

Gleichzeitig kommt es – so die bisherige Annahme – zu deutlich weniger Verfahren als vor öffentlichen Gerichten: Die Schiedsgerichte lassen sich ihre Arbeit durch jede Streitpartei entlohnen, und unabhängig vom Ausgang des Verfahrens muss jede Partei ihre eigenen Anwälte und andere Kosten bezahlen. Bisweilen sitzen die Schiedsgerichte sogar in fernen Ländern.

Sammelklagen sind vor Schiedsgerichten in der Regel unzulässig, womit jeder Geschädigte einzeln prozessieren muss. Entsprechend schwierig ist es, einen Prozessfinanzierer für Schiedsgerichtsverfahren zu finden. Also bestehen hohe finanzielle Hürden, und das Unternehmen erspart sich viele Verfahren völlig.

Aber nicht unbedingt: Große Anwaltskanzleien haben in moderne IT-Infrastruktur investiert. Plötzlich sind sie in der Lage, eine große Zahl ähnlicher Schiedsgerichtsverfahren parallel zu betreiben. Unter dem Vorwurf, Amazons Echo-Geräte hätten heimlich Verbraucher abgehört, haben US-Anwälte nicht weniger als 75.000 Schiedsgerichtsverfahren beantragt.

Damit hatte bei Amazon niemand gerechnet. Für jeden Antrag musste auch Amazon eine Schiedsgerichtsgebühr bezahlen. Das summiert sich auf dutzende Millionen US-Dollar. Dagegen ist die Eröffnung eines einzelnen Sammelklageverfahrens vor einem ordentlichen Gericht ein Schnäppchen.

Diese Kostenersparnis erklärt Amazons Sinneswandel, was Schiedsgerichtsverfahren mit US-Verbrauchern anbelangt. Sie dürfen nun im King County des US-Staates Washington vor einem Gericht des Staates oder einem Bundesgericht klagen. Für Mitarbeiter und Lieferanten gilt die Abschaffung dieser Schiedsgerichtsklausel nicht. Im King County liegt die Pazifikstadt Seattle, wo Amazon seine Firmenzentrale unterhält.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.06.2021 13:10
Quelle: www.heise.de v. 2.6.2021

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