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Das neue ODR-Rahmenwerk der APEC als Wegbereiter für internationale Online-Streitbeilegung (Alexander/Leu Jun Kang, ZKM 2022, 208)

Die Einführung des Online Dispute Resolution Collaborative Framework (im Folgenden ODR-Rahmenwerk) durch den Asia Pacific Economic Council (APEC) soll Anreize zur Beilegung von Handelsstreitigkeiten schaffen und könnte die kommerzielle Streitbeilegungsszene der APEC-Länder revolutionieren. Dieser Beitrag skizziert die Funktionsweise des Rahmenwerks sowie dessen Bedeutung für die internationale Online-Streitbeilegung.


I. Einführung

II. Die Bedeutung des Beitritts der APEC-Akteure zum Rahmenwerk

III. Kleinst- sowie Klein- und Mittelständischen Unternehmen (KKMU)

IV. Was das Rahmenwerk ODR-Anbietern ermöglichen kann

V. Was haben die Mitgliedsstaaten davon?

VI. Künftige Expansion und Entwicklungen


I. Einführung

Die Beilegung von Streitigkeiten ist nach wie vor ein zentrales Element für ein reibungsloses Rechtssystem im Handel. Mit der zunehmenden Digitalisierung hat die Online-Streitbeilegung (Online Dispute Resolution, „ODR“)  in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, da immer mehr Unternehmen versuchen, ihre Streitigkeiten mithilfe elektronischer Kommunikation und anderer Informations- und Kommunikationstechnologien zu lösen. Dieser Prozess hat nach der COVID-19-Pandemie weiter an Zugkraft gewonnen. Die weltweite Internet-Bandbreite stieg im Jahr 2020 um 35 % – der größte Anstieg innerhalb eines Jahres seit 2013.  Darüber hinaus haben die positive Einstellung der Nutzer gegenüber ODR und ihre Erfahrungen damit seit 2019 deutlich zugenommen.  Mit der Einführung und Verabschiedung des Gemeinsamen APEC-Rahmenwerks für die Online-Streitbeilegung bei grenzüberschreitenden B2B-Streitigkeiten (im Folgenden: „APEC ODR Rahmenwerk“)  wird ODR die kommerzielle Streitbeilegungsszene in den APEC-Mitgliedsstaaten und im Rest der Welt revolutionieren.

Das APEC ODR-Rahmenwerk des APEC-Wirtschaftsausschusses konzentriert sich auf Business-to-Business-Transaktionen („B2B“), bei denen sich die Parteien im Falle einer Streitigkeit auf den Einsatz von ODR-Verfahren einigen. Die APEC arbeitet auf der Grundlage des Rahmenwerks mit ODR-Anbietern zusammen, wozu auch regionale Schiedsgerichts- und Mediationszentren aus Mitgliedsstaaten gehören, die sich für die Teilnahme am Rahmenwerk entschieden haben.

Um eine Partnerschaft mit der APEC eingehen zu können, müssen die ODR-Anbieter im Wege der Selbstzertifizierung bescheinigen, dass sie gemäß den Anforderungen des Rahmenwerks arbeiten. Dies bedeutet, dass sie die folgenden Kriterien erfüllen müssen:

(a) Alle den Streitfall betreffenden Informationen bleiben vertraulich;

(b) es werden sichere Datenbanken und Websites unterhalten;

(c) die erhobenen Gebühren stehen in einem angemessenen Verhältnis zur Höhe des Streitwerts;

(d) die Plattform bietet Online-Verhandlungen, Mediation und Schiedsverfahren an;

(e) Daten über den Erfolg des Pilotprojekts des ODR-Anbieters werden dem APEC Wirtschaftsausschuss und anderen Anbietern zur Verfügung gestellt.

Die Verfahrensregeln innerhalb des Rahmenwerks basieren auf den technischen Anmerkungen der UNCITRAL zu ODR sowie der UNCITRAL Schiedsverfahrensordnung. Sie sollen sicherstellen, dass die Anbieter die rasche und faire Beilegung von Streitigkeiten erleichtern, indem sie die Anbieter darin bestärken, Streitigkeiten durch Verhandlungen, Mediation und Schiedsverfahren zu bearbeiten, und hierbei – soweit der Streitigkeit angemessen – auf automatisierte moderne Technologien wie z.B. künstliche Intelligenz zurückgreifen.

Ein Beispiel für automatisierte Online-Technologien ist Legal Intelligence (ALI), das ausgefeilte Entscheidungsbäume erstellt, die den Teilnehmern dabei helfen, den Ausgang von Streitigkeiten einzuschätzen.  ALI kann die beste Nichteinigungsalternative („BATNA“) ermitteln, indem es das geltende Recht auf den von den Streitparteien dargelegten Sachverhalt anwendet.  Ein weiteres Beispiel ist eine Datenbank mit Lösungsvorschlägen, die den Parteien eine Mustersammlung von Lösungen für ihre Konfliktkategorie bietet.

II. Die Bedeutung des Beitritts der APEC-Akteure zum Rahmenwerk

Ein Dauerproblem, mit dem sich die Nutzer von ODR bislang konfrontiert sahen, war das Fehlen einer zentralen Koordinierungsstelle (entweder auf staatlicher oder nichtstaatlicher Ebene), die über vollständige Informationen bezüglich bestehender ODR-Systeme und deren Anbieter verfügte und diese weitergab. Das Rahmenwerk soll als Koordinierungsstelle dienen, um Informationsasymmetrien zu korrigieren und die effiziente Beilegung von Streitigkeiten im elektronischen Geschäftsverkehr zu fördern. Das APEC-Rahmenwerk wurde in erster Linie zur Unterstützung mittlerer und kleiner bis mittlerer Unternehmen („KKMU“) entworfen. Zu ihnen gehören 97 % der APEC-Unternehmen. Das erfordert die Unterstützung und Beteiligung von zwei weiteren wichtigen Akteuren – den ODR-Anbietern und den Mitgliedsstaaten. Nach Angaben der Weltbank besteht in der APEC-Region ein enger Zusammenhang zwischen dem Grad der Internetverbreitung, der digitalen Kompetenz und der Entwicklung von ODR. Die erfolgreiche Umsetzung des Rahmenwerks setzt daher voraus, dass die Mitgliedsstaaten und ODR-Anbieter die erforderliche digitale Infrastruktur und die entsprechenden digitalen Kompetenzen entwickeln.

Angesichts der obigen Diskussion über die Bedeutung der APEC-Stakeholder für das Rahmenwerk werden im folgenden Abschnitt die Möglichkeiten und Vorteile für die am Rahmenwerk beteiligten Stakeholder der Reihe nach dargestellt.

III. Kleinst- sowie Klein- und Mittelständischen Unternehmen (KKMU)

Zunächst ist es wichtig, den Kontext zu verstehen, in dem KKMU tätig sind. Vielen KKMU fehlt es an juristischem Personal innerhalb ihrer Organisation. Wenn es zu Streitigkeiten kommt, greifen KKMU auf externen juristischen Sachverstand zurück, was im Allgemeinen kostspielig ist und das begrenzte finanzielle Kapital der KKMU belastet. Außerdem kann es sein, dass KKMU Verträge abschließen, ohne hierin Streitbeilegungsklauseln aufzunehmen. Dies führt im Streitfall zu höheren Unsicherheiten und Kosten.

Wenn sie sich auf ausländische Märkte wagen, sind grenzüberschreitende Streitigkeiten für KKMU zudem keine Seltenheit. So bleiben auch über 35 % der grenzüberschreitenden Streitigkeiten, an denen KKMU beteiligt sind, ungelöst. KKMU verfügen jedoch nicht über ausreichende finanzielle Mittel, um sich auf traditionelle Streitbeilegungsverfahren zu verlassen, die teuer und zeitaufwendig sein können. Daher können viele KKMU ihre Streitigkeiten nicht beilegen und sind gezwungen, ihre Verluste abzuschreiben. Dies verschärft ein zentrales Problem, mit dem KKMU konfrontiert sind – das Fehlen eines rechtlichen Umfelds, das die Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit fördert, statt sie zu behindern. Das APEC ODR-Rahmenwerk soll diese Lücke schließen, indem es ein maßgeschneidertes Rahmenwerk bereitstellt, das es KKMU ermöglicht, ihre Streitigkeiten effizient beizulegen. Dies ist für KKMU von entscheidender Wichtigkeit, da die effiziente Streitbeilegung ausschlaggebend dafür sein kann, ob Insolvenz angemeldet werden muss oder die Geschäftstätigkeit fortgeführt werden kann.

Nach den Vorgaben des Rahmenwerks durchlaufen die ODR-Anbieter ein dreistufiges Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten – zunächst kommt Verhandlung zum Einsatz, dann Mediation, und schließlich ein Schiedsverfahren. Die Struktur dieses hybriden Streitbeilegungsverfahrens wurde bewusst auf die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit für KKMU ausgerichtet, mit dem Ziel, die meisten Streitigkeiten auf einer der ersten beiden Stufen beizulegen. Im Erfolgsfall können umfangreiche Schiedsgerichtskosten vermieden werden, was für KKMU zu massiven Kosteneinsparungen führen kann. Um die zeitliche Effizienz des Verfahrens zu steigern, wird zudem empfohlen, die Verhandlungsphase per Software zu steuern.

Eine Schlüsselfrage bei hybriden Verfahren ist, ob dieselbe neutrale Drittperson für die verschiedenen Streitbeilegungsverfahren eingesetzt werden soll. Nach dem APEC-Rahmenwerk ist als Standardregel vorgesehen, dass während des gesamten Verfahrens dieselbe neutrale Drittperson eingesetzt wird. Natürlich können die Parteien auch etwas anderes vereinbaren und für die Mediation bzw. das Schiedsverfahren jeweils eine andere neutrale Drittperson auswählen. Sollte die Angelegenheit in ein Schiedsverfahren übergehen, kann die Ernennung derselben neutralen Drittperson für die Nutzer interessant sein, da die neutrale Drittperson wahrscheinlich bereits gut mit dem Sachverhalt vertraut und in der Lage ist, eine rasche Lösung zu erzielen, wodurch die mit der Ernennung einer neuen neutralen Drittperson verbundenen Kosten eingespart werden. Da jedoch in einem Mediationsverfahren in gemeinsamen und nichtöffentlichen Sitzungen viele Informationen ausgetauscht werden, könnten einige Nutzerinnen und Nutzer Bedenken wegen einer möglichen Verletzung der Vertraulichkeit durch den Mediator/die Mediatorin oder sogar einer Voreingenommenheit bei der Entscheidungsfindung haben, wenn die Angelegenheit vor ein Schiedsgericht gebracht wird. Die APEC-Regeln überlassen stets den Parteien die Wahl. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.12.2022 11:25
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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