Aktuell in der ZKM

Zur Zukunft der Wirtschaftsmediation – Überlegungen in elf Aphorismen (Risse, ZKM 2022, 179)

Der Autor zeichnet anhand von elf klug ausgewählten Lebensweisheiten großer Denker ein ebenso spannendes wie treffendes Bild der Wirtschaftsmediation, das zum Nachdenken anregt.


I. Prolog: ein etwas anderer Ansatz

II. Dialog: mit großen Denkern im Gespräch

1. „Alle Kriege enden mit Verhandlungen. Warum also nicht gleich verhandeln?“

2. „Man muss nicht darauf sehen, woher die Dinge kommen, sondern wohin sie gehen.“

3. „Sie können ein Problem niemals auf der Ebene lösen, auf der es erstellt wurde.“

4. „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung!“

5. „Ein langer Streit beweist, dass beide Seiten Unrecht haben.“

6. „Die Mühlen der Gerechtigkeit mahlen langsam, aber sicher nicht gratis.“

7. „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“

8. „Es ist Unsinn, Türen zuzuschlagen, wenn man sie angelehnt lassen kann.“

9. „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“

10. „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es!“

11. „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“

III. Epilog: Und was kommt jetzt?


I. Prolog: ein etwas anderer Ansatz

Ein Beitrag zur Zukunft der Wirtschaftsmediation aus Anlass des 25-jährigen Jubiläums der ZKM – so lautete die ehrenvolle Anfrage der Redaktion. Ein einfacher, allerdings reichlich stereotyper Ansatz wäre es nun, die Vorteile der Wirtschaftsmediation anzupreisen und sodann mit Bedauern festzustellen, dass noch zu wenige Unternehmen dieses Verfahren nutzen, sich das künftig aber bestimmt (hoffentlich?) ändern wird. Solche Beiträge gibt es indes (zu) viele, meist ohne echten Erkenntniswert. Deshalb verfolgt dieser Beitrag einen anderen Ansatz: Er nimmt Anleihen bei den klügsten Köpfen der vergangenen Jahrtausende und überträgt deren in Aphorismen ausgedrückte Weisheiten auf die Mediation. Ob mit diesem Ansatz ein Erkenntnisgewinn erzielt wird, mag der Leser beurteilen. Nachfolgend wird jedenfalls über die Zukunft der Wirtschaftsmediation nachgedacht, strukturiert nach elf berühmten und für diesen Beitrag ausgeborgten Leitgedanken.

II. Dialog: mit großen Denkern im Gespräch

Wer sich mit Aphorismen großer Denker auseinandersetzt, kann so mit ihnen eine Art Dialog beginnen. Das gelingt vor allem dann, wenn man den Gedanken in Bezug zu einem bestimmten Thema setzt, hier zur Wirtschaftsmediation. Zugegeben, durch die subjektive Auswahl der Aphorismen wird die Richtung der Diskussion vorgegeben. Wenn das den Leser dann zum Widerspruch oder Weiterdenken herausfordert, wird der Denkfaden weitergesponnen, und am Ende stehen dann hoffentlich echte Ergebnisse. Hier also eine Auswahl von Leitgedanken, die Relevanz für die Zukunft der Mediation haben:

1. „Alle Kriege enden mit Verhandlungen. Warum also nicht gleich verhandeln?“

Das Zitat stammt von Jawaharlal Nehru (1889–1964), dem Streiter für die Unabhängigkeit Indiens und erstem Ministerpräsidenten dieses Landes. Angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine ist seine Beobachtung von unmittelbarer Relevanz und man würde sich wünschen, dass sie Beachtung findet. Nehrus Erkenntnis ist aber auch auf Wirtschaftskonflikte übertragbar, wo eine Mediation vor Beginn der Prozessschlacht sinnvoll ist: Am Ende muss man doch wieder miteinander reden. Für große Wirtschaftsprozesse gilt dabei sogar, dass statistisch gesehen die Mehrzahl nicht durch ein Urteil endet, also mit Sieg oder Niederlage, sondern mit einem ausgehandelten Vergleich. Dort haben die Parteien dann bei unveränderter Faktenlage sinnlos (aber keinesfalls „umsonst“!) Geld, Zeit und Nerven in eine Auseinandersetzung investiert, die sie mit gleichem Ergebnis auch sofort durch Verhandlungen hätten beilegen können. Das ist der wichtigste Grund dafür, warum Unternehmen versuchen sollten, Streitigkeiten durch bilaterale Verhandlungen oder, wenn diese scheitern, durch moderierte Verhandlungen beizulegen. Professionell moderierte Verhandlungen sind nichts anderes als eine Mediation. Nehrus Gedanke trifft auch für Wirtschaftskonflikte den Kern der Sache.

2. „Man muss nicht darauf sehen, woher die Dinge kommen, sondern wohin sie gehen.“

Dieser Satz des römischen Philosophen und Schriftstellers Lucius Annaeus Seneca (1 - 65 n. Chr.) setzt den Akzent richtig, auch in Bezug auf Wirtschaftskonflikte: Die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern, die Zukunft schon. Die rechtskonforme „Lösung“ von Konflikten berücksichtigt indes nur, was schon geschehen ist, und weist dafür Verantwortung zu. Tatbestandsmerkmale einer Rechtsnorm, die die Entscheidung des Richters vorgibt, bezeichnen immer Umstände der Vergangenheit: Wurde ein Vertrag geschlossen, eine Vertragspflicht verletzt und war das fahrlässig? Die Streitparteien sollten dagegen ihren Blick nach vorne richten und überlegen, wie sie ihre gemeinsame oder auch getrennte Zukunft so gestalten können, dass diese möglichst glück- und gewinnbringend ist. Der Gerichtsprozess als Benchmark aller Streitbeilegungsverfahren leistet das systembedingt nicht. Wenn Unternehmen auch in Konfliktsituationen zukunftsbezogen denken, statt sich in Schuldzuweisungen zu verstricken, hat die Wirtschaftsmediation als vor allem zukunftsbezogenes Streitbeilegungsverfahren Vorteile gegenüber dem Gerichtsprozess. Seneca hat recht.

3. „Sie können ein Problem niemals auf der Ebene lösen, auf der es erstellt wurde.“

Der Nobelpreisträger Albert Einstein (1879–1955) hätte es verdient, mit vielen klugen, auf die Mediation passenden Gedanken in die vorliegende Sammlung aufgenommen zu werden.  Das ausgewählte Zitat veranschaulicht ein Problemlösungsprinzip, das in der Mediation umgesetzt wird: Die Streithähne müssen veranlasst werden, über den Tellerrand hinauszublicken und das gerade für Juristen typische Boxendenken aufzugeben.  Dieses Boxendenken besteht in Wirtschaftskonflikten meist in rechtsnormbezogenen und in Rechtsansprüche gegossenen Positionen. Das Recht und der Richterspruch berücksichtigen bei der Lösung indes immer nur die Tatbestandsmerkmale, die in der Rechtsnorm enthalten sind, die Rechtsfolge besteht fast immer in einer Geldzahlung. Der so gezogene Rahmen für eine Problemlösung ist indes viel zu eng. Keine Rechtsnorm enthält Begriffe wie „Geschäftsbeziehung“ oder „Unternehmensrenommee“ als Tatbestandsmerkmale, und Geld löst bei weitem nicht alle Probleme. Unternehmen wie Privatpersonen sind daher gut beraten, im Bereich der Konfliktbeilegung das juristische Boxendenken zu überwinden und „outside the box“ nach Lösungen zu suchen. Genau das versucht die Wirtschaftsmediation und schon deshalb verdient sie eine erfolgreiche Zukunft. Einsteins Analyse trifft zu. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.11.2022 08:46
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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