Aktuell in der ZKM

Der Trüffel der Mediation (Bielecke, ZKM 2022, 139)

Konflikte sind wie das Salz in der Suppe. Ihre Klärung intensiviert die Beziehung untereinander. Es ist, als ob die Beteiligten mehr schmecken würden. In einem Konfliktgespräch können sie sich die Perspektive des Gegenübers auf der Zunge zergehen lassen. Einiges ist nicht neu, schmeckt vertraut oder sie haben es schon oft durchgekaut. Anderes fühlt sich unbekannt an. In jedem Fall erweitert es aber die Geschmacksrichtung. Die dritte Phase in der Mediation – die Phase der Konflikterhellung, der vertieften Betrachtung der Hintergründe und der Erkundung von Interessen, Gefühlen und Bedürfnissen – ist die intensivste und längste im gesamten Prozess. In der einführenden Metapher verbleibend geht es darum, die einzelnen Zutaten des Gerichts herauszuschmecken, sie zu erkennen und zu benennen, die Vorlieben und Gewohnheiten zu verstehen und ggf. auch den Zubereitungsvorgang und dessen individuelle Unterschiede nachzuvollziehen.


I. Begriffssalat: Was sind Interessen, Bedürfnisse und Positionen?

II. Zubereitungsanleitung: die Trüffel in der Mediation aufspüren

III. Das Finishing: die Interessen als Trüffel der Mediation

Wenn die dritte Phase der Mediation – die Erhellung der Konflikthintergründe und der verschiedenen Perspektiven auf den Konflikt – beginnt, haben die Beteiligten bereits den Sachverhalt kurz umrissen, Themen herausgearbeitet und in ihrer Bearbeitungsreihenfolge priorisiert. In der vorhergehenden zweiten Phase geht es meist noch darum, Vergangenes zu besprechen und zu verstehen. Im folgenden dritten Schritt der Mediation wird fokussiert betrachtet, was im Moment zwischen den Beteiligten passiert, wie sie das Erlebte und Gehörte wahrnehmen und bewerten, worin sie die jeweiligen Unterschiede in ihren Sichtweisen sehen und welche Bedeutung die Vergangenheit heute noch für sie hat.

Je nach Mediationsstil bzw. Mediationsschule unterscheidet sich das Vorgehen in diesem wichtigen Schritt, den viele das „Herzstück der Mediation“ nennen, stark. Gläßer und Kirchhoff berufen sich in ihrem Vorgehen einer interessensbasierten Mediation auf den Einfluss der ersten Generation von Mediatoren und Ausbildern in Deutschland, die sich an dem Modell der amerikanischen Mediatoren Gary Friedman und Jack Himmelstein orientieren. Der Ansatz von Friedman und Himmelstein räumt der sorgfältigen Erkundung und konkreten Ausformulierung von Interessen innerhalb einer Mediation einen zentralen Stellenwert ein. Friedman und Himmelstein gehen dabei von der Annahme aus, dass das Verständnis für das Gegenüber und für die Konfliktdynamik steigt und dadurch nachhaltigere und tragfähigere Lösungen entstehen, wenn sich die Beteiligten den zugrunde liegenden Antriebsfaktoren eines Konflikts und Verhaltensmustern der Beteiligten als bisher nicht geglückte Lösungsversuche widmen. Die ausformulierten und visualisierten Interessen der Beteiligten stellen nach Gläßer und Kirchhoff „ein zentrales kognitives Raster für die (Um-)Formulierungsarbeit des Mediators dar.“ Sie sind damit ein wichtiges Handwerkszeug und zugleich Grundlage und Indikator für das Finden und Formulieren nachhaltiger und tragfähiger Lösungen.

Wie diese gründliche Erforschung mit Formulierung von Interessen im Rahmen der Konflikterhellung aussieht, wird in diesem Beitrag anhand eines Fallbeispiels ausführlich erläutert und so der wertschöpfende Gedanke dieses Vorgehens verdeutlicht. Weitere Techniken und Methoden z.B. für den Umgang mit herausfordernden Emotionen in der Phase der Konflikterhellung werden in nachfolgenden Beiträgen dieser Aufsatzreihe thematisiert.

Fall „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“

Seit wenigen Wochen hat das weithin als exzellent bekannte Physiotherapieteam im Krankenhaus in Kleinstadt Herrn Sturm als neue Leitung. Direkt am ersten Tag rief er das Team im Besprechungsraum zusammen. Die Kolleginnen waren gespannt auf ihren als innovativ und engagiert angekündigten Chef und brachten Kuchen zur Begrüßung mit.

Herr Sturm formulierte seine Begrüßungsansprache frei nach dem Motto: „Für einen ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance!“ Die Worte flogen nur so an den Ohren der Kollegen vorbei. Von einem „neuen Wind“ war da die Rede, von Effizienz in der Patienten- und Therapieversorgung, von optimierten Abläufen, von innovativ-automatisierten Behandlungsanasätzen. Bei den Teammitgliedern blieb vor allem hängen: dieser Mann macht seinem Namen alle Ehre und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund.

In den nächsten Wochen wurde die Stimmung gereizter. Gegen die neuen Vorgaben regte sich wachsender Widerstand. Je länger und deutlicher sich die Kolleginnen den Optimierungswünschen widersetzten, umso mehr Druck baute Herr Sturm auf. Schließlich baten die Kolleginnen bei der zuständigen Klinikleitung um Unterstützung. Eine Teammediation wurde angeregt.

Bevor auf die einzelnen Vorkommnisse und die zu besprechenden Themen eingegangen werden konnte, drehte es sich im ersten Teil der Mediation alles um die Frage, ob die Mediation der richtige Rahmen sei und die Beteiligten einem Klärungsgespräch eine Chance einräumen. Einige der Teammitglieder hatten angedeutet, sich beim Personalrat über die Wege des betrieblichen Beschwerdemanagements erkundigt zu haben. Sie wollten wissen, ob ihre Arbeitsplätze in naher Zukunft wegrationalisiert werden sollen.

I. Begriffssalat: Was sind Interessen, Bedürfnisse und Positionen?

Wie bereits in den vorhergehenden Beiträgen dieser Aufsatzreihe beschrieben, spielt die Gestaltung eines sicheren Rahmens eine wichtige Rolle für das Gelingen der Mediationsgespräche.

Direkt zu Beginn spricht die Mediatorin deshalb mit den Mitarbeitenden über die Ziele und Erwartungen sowie die Wünsche an die Vorgehensweise in der Mediation. Jede Person wird ausführlich gefragt, was sie sich von dem Gespräch erhofft, was sie konkret benötigt, um sich einlassen zu können, was gesichert sein müsse, damit sie an ein ernstgemeintes Gesprächsangebot glauben kann, was anders für sie ist, wenn sich das Gespräch gelohnt hätte usw. Gefragt wird jede Person nach ihren Interessen und Bedürfnissen bezogen auf das Vorgehen in der Mediation – nach sog. „Verfahrensinteressen“.

Die Teammitglieder benennen verschiedene Aspekte, die sich angesichts der Mediation beschäftigen. Sie möchten sich u.a. sicher sein, dass sie
 

  • an einer gemeinsamen Zukunft im Team arbeiten
  • mit ihrer Expertise gefragt sind
  • als Mensch respektvoll und wertschätzend behandelt werden
  • mit Ressourcen (Zeit, Geld, Kraft) verantwortungsvoll umgehen
  • ihren exzellenten Ruf behalten.


Die einzelnen Teammitglieder sprechen aus, was für sie wichtig ist und was sie in Zukunft besser berücksichtigt wissen wollen. Ungefähr in diesem Wortlaut definiert der Duden auch das Wort „Interesse“: etwas, „woran jemandem sehr gelegen ist, was für jemanden oder etwas wichtig oder nützlich ist“.

Ganz bewusst fragt die Mediatorin zu diesem Zeitpunkt der Mediation nicht nach einer Lösung oder einem für sie lohnenswerten Ergebnis. In der Regel beantworten die Konfliktbeteiligten diese Fragen mit ihrer Idealvorstellung, wie z. B. dass Herrn Sturms Arbeitsvertrag nach der Probezeit nicht verlängert wird, dass die Arbeitsabläufe unverändert weitergeführt werden, dass es mehr Geld für die physiotherapeutische Abteilung gibt oder sich die Zahl der Behandlungsplätze erhöht.

Solche Positionen sind in der Mediation wenig hilfreich, weil sie eine Lösungsoption favorisieren, die entweder nicht umsetzbar oder nicht im Entscheidungsspielraum der Beteiligten ist, weil sie zum Nachteil des Konfliktgegenübers wäre und deshalb von diesem – wenig überraschend – abgelehnt wird. Im beschriebenen Fall wird weder Herr Sturm an seiner Wegrationalisierung arbeiten wollen, noch haben die Teammitglieder ein Interesse daran, an ihrer eigenen Kündigung oder dem Ersatz ihrer Arbeitskraft durch neue technische „Behandlungsautomaten“ mitzuwirken.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.09.2022 13:35
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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