Aktuell in der ZKM

Mediation in großen Wirtschaftskonflikten

von Harriet Weber, Dr. Nicola Grau und Johannes Brose

Komplexe Auseinandersetzungen zwischen oder innerhalb am Markt tätiger großer Unternehmen bergen im Falle einer langwierigen und kostspieligen gerichtlichen Klärung die Gefahr der Zerstörung mühsam geschaffener wirtschaftlicher Werte und damit einhergehend der Vernichtung von Existenzen. Ihre Beilegung durch Mediation fördert ein Umdenken der Konfliktbeteiligten und kann im Falle ihres Gelingens nachhaltig werterhaltend und sogar wertschöpfend sein. Dies haben die Autoren in den hier vorgestellten Praxisbeispielen erlebt.

Dabei steht und fällt das Finden einer konsensfähigen, konstruktiven und vielleicht sogar wertschöpfenden Lösung damit, dass den Besonderheiten dieser Konstellationen Rechnung getragen wird. Die Autoren stellen ihre Erfahrungen und Erkenntnisse im Zusammenhang mit solchen Mediationen aus ihrer eigenen Praxis dar. Bemerkenswert ist dabei, dass die hier geschilderten Mediationen überwiegend im Rahmen von Güterichterverfahren durchgeführt wurden und damit zeigen, was Mediation auch bei Rechtsanhängigkeit der Konflikte leisten kann.

I. Ausgangslage
In großen Wirtschaftskonflikten ist oft die Mitwirkung einer Vielzahl von Streitbeteiligten für eine insgesamt konsensfähige Lösung notwendig. Bei juristischen Personen werden die maßgeblichen Entscheidungen häufig nicht (allein) durch die Geschäftsführung, sondern auch durch weitere Gremien (beispielsweise Aufsichtsräte) oder Eigentümer (bspw. Gesellschafter – welche ebenfalls juristische Personen sein können – oder Kapitalanleger) getroffen. Dem Anliegen, relevante Fakten und Belange nicht nach außen dringen zu lassen, kommt meist oberste Priorität zu, damit negative Publizität für das jeweils betroffene Unternehmen vermieden wird.
Bei Streitigkeiten im Wirtschaftsleben – sei es innerhalb oder zwischen Unternehmen – spielen oft nicht nur Zahlen, Daten und Fakten, sondern ideelle Belange eine Rolle: Ärger, Frustration und Missverständnisse können die Streitentstehung und Konfliktentwicklung prägen; der Wunsch nach Anerkennung, Wertschätzung und Rehabilitation kann bei der Lösungsfindung essentielle Bedeutung haben.

II. Konsequenzen für das Vorgehen in der Mediation
Die Herausforderung der Mediation besteht darin, eine Kommunikation der jeweils relevanten Entscheidungsträger über die zu besprechenden Themen, die zugehörigen Interessen und die denkbaren Optionen in konstruktiver Atmosphäre herzustellen. Die Mediatorin ist dabei gefordert, den gesamten Ablauf kompetent, transparent und im Einvernehmen mit allen Beteiligten zu strukturieren und festzulegen. Optimalerweise unterbreitet sie Vorschläge, in welcher personellen Konstellation welche Themen besprochen werden. In Abhängigkeit von den erzielten Zwischenergebnissen verändert sie Setting und Verhandlungsgegenstand. Welche Vorschläge hierfür zielführend sind, kann sie mit Fingerspitzengefühl sowie aufgrund der im Verlauf des Verfahrens erlangten Kenntnis der wirtschaftlichen Ausgangslage und der von den Beteiligten geschilderten Entwicklung sowie vom Gegenstand der Auseinandersetzung und deren Hintergründen herausfinden und im Verlauf ständig überprüfen und anpassen.

Vereinbarungen über das Procedere werden ebenso wie die erreichten Zwischenergebnisse am besten schriftlich fixiert und – im Einverständnis mit den Betroffenen – an alle Beteiligten kommuniziert. Einzelgespräche spielen eine wesentliche Rolle während des gesamten Verfahrens. Der zeitliche und organisatorische Aufwand für ein solches Vorgehen ist erheblich.

1. Vorbereitung
Persönliche Sympathie und die Gewinnung des Vertrauens in die kompetente Anleitung des Verfahrens spielen eine entscheidende Rolle. Kompetenz, Engagement und Erfahrung der Mediatorin fördern die Bereitschaft der Konfliktbeteiligten, sich auf das Verfahren einzulassen.

Schon beim ersten Gespräch zeigen sich häufig die unterschiedlichen Sichtweisen der Beteiligten auf den Konflikt, was der Mediatorin wesentliche Informationen liefern kann, um konstruktive Vorschläge für das weitere Vorgehen unterbreiten zu können. Außerordentlich wichtig für die Beteiligten ist der – schon vorab sinnvolle – Hinweis, dass während dieses und weiterer Gespräche offenbarte Informationen vertraulich behandelt werden (vgl. Fallbeispiel III. 1. und – bzgl. der potentiell negativen Auswirkungen einer hinreichend verbindlichen Klärung des Settings – Beispiel III. 6.).

2. Vertraulichkeit
Der Schaden für ein Unternehmen kann verheerend sein, wenn Informationen über den Konflikt nach außen dringen. Das Diskretionsinteresse der Beteiligten in Bezug auf die unterschiedlichen Themenfelder erfordert eine auf den konkreten Sachverhalt möglichst individuell zugeschnittene Vereinbarung. Diese ist elementar sowohl für die Bereitschaft der Beteiligten zur Mediation überhaupt wie auch für einen ungehinderten Kommunikationsfluss insbes. zu den Konfliktursachen, Interessen und realisierbaren Optionen.

3. Festlegung der Vorgehensweise
Der weitere Ablauf lässt sich effizient strukturieren, wenn sich die Mediatorin – ggf. schriftlich – das Einverständnis beider Seiten zu der von ihr vorgeschlagenen Vorgehensweise holt. Die Autoren orientieren sich an dem Phasenmodell des Harvard-Konzepts.
Zunächst gilt es, ein Einvernehmen darüber zu erreichen, welche Themen mit welchen Verhandlungsvertretern in welcher Reihenfolge besprochen werden. Die Mediatorin sorgt dafür, dass sich die Parteien an das Vereinbarte halten. Wenn die Bereitschaft dafür nicht (mehr) besteht, ist der Abbruch der Mediationsgespräche eine Option. Abänderungen der Agenda erfolgen immer in allseitigem Einvernehmen (vgl. auch insoweit v. a. Beispiele III. 1. und 6. für eine einmal gelungene und eine einmal unzureichende Strukturierung des Verfahrens).

4. Bestandsaufnahme/Themensammlung
Bei komplexen Auseinandersetzungen kann bereits die Erarbeitung der – im Konsens aller Beteiligten – zu klärenden Themen eine Herausforderung darstellen. Das Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten kann dabei die Motivation der Medianden fördern, sich an der Verhandlung konstruktiv zu beteiligen.

Die transparente und genaue Darstellung der für die einzelnen Konfliktbeteiligten wichtigen Themen auf Flipchart und die Erarbeitung eines gemeinsamen Themenkatalogs stellt einen ersten wichtigen Schritt zur gemeinsamen Lösungssuche dar.

5. Interessenforschung
Grundlegende Voraussetzung ist die Teilnahme der tatsächlichen Entscheider an den Gesprächen. Denn Verständnis für die andere Seite (welches nur wirkt, wenn es beim Entscheidungsverantwortlichen eintritt) lässt sich nicht fernmündlich, sondern nur im direkten Gespräch erzeugen; zudem können die Interessen zur Verhandlung entsandter Vertreter und diejenigen der eigentlichen Partei divergieren (beispielsweise kein Eingestehenwollen früherer Fehleinschätzungen gegenüber Vorgesetzten). Weil sich in großen Wirtschaftsstrukturen die wirklichen Entscheider nur schwer an den Verhandlungstisch bringen lassen, bedarf dies häufig aufwendiger Vorarbeiten. In jedem Fall ist es erforderlich, dass die Verhandlungsführer im eigenen Lager über Akzeptanz und Autorität verfügen sowie sich zu jedem Zeitpunkt bei weiteren Entscheidungsmitverantwortlichen rückversichern können (vgl. für ein gelungenes Setting die Beispiele III. 2., 4. und 5., für eine nicht hinreichende Auswahl der Verhandlungspartner Beispiel III. 6.; aber auch in Fällen, in welchen nicht stets alle Entscheidungsträger an einem Tisch sitzen können, kann bei nachhaltiger Klärung der Vertretungsverhältnisse eine hinreichende Verhandlungskompetenz auf allen Seiten hergestellt werden – vgl. Beispiele III. 1. und 3.).

Tatsächliche und/oder rechtliche Beziehungen zu Dritten, auf die sich potentielle Lösungen auswirken können, müssen von Anfang an adäquat berücksichtigt werden, Dritte unter Umständen im Einverständnis der Konfliktbeteiligten einbezogen werden. Um das ohnehin schon durch eine Vielzahl an Beteiligten gekennzeichnete Verfahren nicht zu überlasten, sind auch insoweit Organisationsvermögen und Verhandlungskompetenz erforderlich, um die weiteren Gespräche so zu strukturieren, dass es zu einem fruchtbaren Austausch in gerade denjenigen Beiziehungen kommt, in welchen auflösbare Störfaktoren vorhanden und nutzbare Potentiale angelegt sind. ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 05.10.2021 15:56
Quelle: Centrale für Mediation

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