Aktuell in der ZKM

Mediation wahrnehmbar machen

Von Prof. Dr. Reinhard Greger, Richter am BGH a.D., Universität Erlangen-Nürnberg

Woran liegt es, dass Mediation bei uns immer noch so wenig wahrgenommen wird – in des Wortes doppelter Bedeutung? Dieser Frage geht der nachstehende Beitrag nach, und er zeigt auf, was geschehen müsste, um diese Situation zu ändern.


I. Befund

Obwohl der einvernehmlichen Konfliktlösung Vorrang vor der gerichtlichen Streitentscheidung gebührt, spielt sie in der Rechtswirklichkeit noch immer eine untergeordnete Rolle. Daran hat auch das Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung von 2012 nichts zu ändern vermocht, wie wir seit der im Auftrag der Bundesregierung durchgeführten Evaluation dieses Gesetzes wissen. Dem 2017 erstatteten Bericht ist zu entnehmen, dass es nicht an umfassend ausgebildeten Mediatorinnen und Mediatoren  mangelt, sondern dass es viel zu wenig Nachfrage nach ihren Diensten gibt: Mehr als zwei Drittel der Antwortenden haben demnach im Untersuchungsjahr keine oder weniger als fünf Mediationen durchgeführt.

Der wichtigen Frage nach den Gründen für dieses Nachfragedefizit wurde im Rahmen der Evaluation nur aus der Sicht der Mediationsanbieter nachgegangen. Dabei ergab sich, dass nur relativ wenige Mediationsanfragen aufgrund von Empfehlungen durch Rechtsanwälte, Richter und Beratungsstellen zustande kommen; in den meisten Fällen gelangen die Medianden aus eigenem Antrieb, auf Empfehlung früherer Medianden oder aus betrieblicher Veranlassung in die Mediation.  Eine gewisse Rolle spielt die Verweisung durch Rechtsschutzversicherungen, die sich jedoch auf einen vergleichsweise kleinen Kreis von Mediatoren konzentriert.

Zusammenfassend konstatiert der Evaluationsbericht, dass die Zahl der unmittelbaren Interessenten nicht ausreicht, um das Instrument Mediation dauerhaft am Leben zu erhalten, und er hält es für angezeigt, dass die Übermittlung von Fällen durch Gerichte, Rechtsanwälte oder Beratungseinrichtungen ausgeweitet wird.

II. Diagnose

Der Evaluationsbericht bestätigt damit die Erfahrungen aus der Rechtspraxis, wonach die unzureichende Nutzung der alternativen Konfliktlösungsverfahren hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass sie außerhalb des etablierten Systems der Rechtspflege liegen. Wer erst einmal beim Gericht gelandet ist, kann nur mit Schwierigkeiten auf ein alternatives Verfahren umgeleitet werden.  Wer sich mit seinem Rechtsproblem an einen Rechtsanwalt wendet, darf zwar erwarten, dass dieser durch Mahnschreiben, bilaterale Verhandlungen usw. eine Lösung sucht; gelingt dies aber nicht, wird der Rechtsanwalt in aller Regel den Klageweg beschreiten, statt ein Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung zu initialisieren. Beratungsstellen vermitteln eher niederschwelligere Hilfsangebote als eine mit Kosten verbundene Mediation.

Daraus folgt: Die Mediation hat kein Akzeptanz-, sondern ein Zugangsproblem. Um zu ihr gelangen, müssen mehrere Barrieren überwunden werden:

  • Konfliktbetroffene müssen das Wissen erlangen, dass es diese Möglichkeit gibt und wie man sie praktisch umsetzen kann;
  • sie müssen aus dem durch Emotion und Konvention vorgeprägten Streitmodus herausfinden, auf den „Gegner“ zugehen und die Bereitschaft entwickeln, sich mit ihm „an einen Tisch zu setzen“;
  • sie müssen der Neigung widerstehen, sich durch Verdrängung oder Delegation des Konflikts der Belastung zu entziehen, die das unmittelbare Verhandeln mit dem „Gegner“ mit sich bringt,
  • sie müssen den, oft durch rechtliche Beratung verstärkten, Optimismus aufgeben, ihre Rechtsüberzeugung im gerichtlichen Verfahren durchsetzen zu können;
  • sie müssen Vertrauen zu einem Verfahren und einer Person entwickeln, ohne dieses auf zuverlässige Grundlagen stützen zu können;
  • sie müssen akzeptieren, dass sie sich unabhängig vom Ausgang des Verfahrens an dessen (oftmals überschätzten) Kosten zu beteiligen haben, was dann besonders schwer fällt, wenn ihnen für das gerichtliche Verfahren Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe zusteht.

All diese Zugangshindernisse haben ihren Grund darin, dass unser Rechtssystem, historisch bedingt, voll auf die streitige Rechtsdurchsetzung vor Gericht zugeschnitten ist. Die Zivilprozessordnung, das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie das Arbeitsgerichtsgesetz regeln in rund 1.700 Paragraphen die Verfahren zur Klärung privater Rechtsbeziehungen durch die staatliche Justiz; zur (dem Privatrecht an sich näherstehenden) autonomen Konfliktbehandlung gibt es dagegen nur einige wenige punktuelle Regelungen. Verknüpfungen zwischen beiden Bereichen sind rein fakultativ und nahezu an einer Hand aufzuzählen.

Zu Recht hat das Bundesjustizministerium daher bei der Online-Konferenz zur Stärkung der Mediation am 28.5.2021 die Frage erörtern lassen, ob sich Regelungen zur Integration der Mediation in das bestehende Rechtsschutzsystem empfehlen. Dies ist in der Tat die zentrale Frage für die Zukunft der Mediation: Sie darf nicht länger „Outlaw“ sein, in einer Nische außerhalb der rechtlich geregelten Verfahren zur Konfliktbeilegung darauf warten, dass besonders Kundige oder Mutige zu ihr finden; die Zugangsbarrieren müssen abgebaut, ihre Wahrnehmbarkeit muss erhöht werden.

III. Therapie

Auf Vorschläge zur normativen Einbindung der Mediation ins Verfahrensrecht soll hier nicht erneut eingegangen werden.  Diese Einbindung, z.B. durch den Einbau von Filtern, die für eine Zuleitung des einzelnen Konflikts zu dem am besten für ihn geeigneten Verfahren sorgen, ist zwar Grundvoraussetzung für eine verstärkte Wahrnehmung der Mediation, sie kann aber die vorgenannten Zugangsbarrieren nicht vollständig beseitigen. Denn die Teilnahme an einer Mediation setzt immer den freien Willen der Beteiligten voraus, und dieser lässt sich nicht gesetzlich verordnen. Um Konfliktbetroffene für dieses Verfahren zu motivieren, bedarf es bewusstseins- und vertrauensbildender Maßnahmen, der Erleichterung des Zugangs und des Abbaus von Hindernissen.

IV. Konkrete Vorschläge

Die Mediationslandschaft in Deutschland bietet ein sehr inhomogenes Bild. Mediation wird hauptsächlich durch freiberuflich Tätige unterschiedlicher Profession, zum großen Teil nebenberuflich, ausgeübt. Zusammenschlüsse zu Mediatorengesellschaften sind eher selten; auf Bundes- oder regionaler Ebene bestehende Verbände und Vereine treten zumeist nicht als Mediationsanbieter auf, sondern befassen sich hauptsächlich mit Aus- und Weiterbildung, Qualitätssicherung und der Auflistung ihrer Mitglieder. Daneben wird Mediation, oft neben anderen Methoden der einvernehmlichen Konfliktlösung und außerhalb des Geltungsbereichs des MediationsG, auch von Richtern, Bediensteten in Behörden und Unternehmen, Streitmittlern in Schlichtungsstellen, Versicherungen usw. praktiziert. Von der Schaffung eines Berufsbildes „Mediator/in“ hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen, ebenso von einer Verkammerung, wie sie bei anderen freien Berufen gebräuchlich ist, und mit der fragwürdigen Selbstzertifizierung nach § 5 Abs. 2 MediationsG hat er die Intransparenz des Mediationsmarktes weiter verstärkt.

Der Zugang zur Mediation wird dadurch erheblich erschwert. Viele Menschen haben keine, nur verschwommene oder unzutreffende Vorstellungen von Mediation. Andere wissen zwar über Mediation Bescheid, sind aber der Ansicht, dass diese auf Eigenverantwortlichkeit bauende Methode für ihren Konflikt nicht passt, weil sie sich eine neutrale Bewertung ihres Streitfalls anhand rechtlicher Kriterien, Faktenwissens oder billiger Abwägung wünschen; sie werden dann nicht zum Mediator gehen, sondern den Rechtsweg wählen. Andere, die bereits zu einer Mediation entschlossen sind, geben diese Absicht auf, nachdem sie sich durch diverse Mediatorenlisten geklickt haben und nicht wissen, wem sie ihr Vertrauen schenken sollen.

Dringend geboten sind daher vertrauensbildende und transparenzfördernde Maßnahmen sowie der Einbau der Mediation in ein Gesamtsystem der außergerichtlichen Streitbeilegung. Im Einzelnen bedeutet dies:

1. Zuverlässiger Kompetenzausweis

Da „Mediation“ und „Mediator/in“ keine geschützten Bezeichnungen sind, sondern nach § 5 MediationsG von jedem und jeder „in eigener Verantwortung“ gebraucht werden können, und sogar die Bezeichnung „zertifizierter Mediator“ ohne Erbringen und Kontrolle bestimmter Qualifikationsnachweise geführt werden darf, kann es nicht verwundern, wenn das rechtsuchende Publikum den Anbietern dieser Dienstleistung mit Vorbehalten begegnet. Die durch diese Vorschrift bewirkte Marktverwirrung ist eine der Hauptursachen für die mangelnde Nachfrage nach Mediation und müsste ehestmöglich beseitigt werden. Wenn man schon – und dies mit gutem Grund – die Anwendung von Mediation nicht auf bestimmte Berufsträger beschränken will, muss jedenfalls für Transparenz des Marktes gesorgt werden, indem ein aussagekräftiges, vertrauenswürdiges Qualitätssiegel geschaffen wird, d.h. eine Zertifizierung, die diesen Namen verdient. Dazu bedarf es keiner Berufszugangsregelung und keiner Verkammerung, auch nicht der Errichtung einer Zertifizierungsbehörde. Die Zertifizierung könnte im Wege der Beleihung nach dem AkkreditierungsG  einer privatrechtlichen Einrichtung (etwa der Deutschen Akkreditierungsstelle GmbH) übertragen werden; für bestimmte Tätigkeiten mit besonders hohen Qualitätsanforderungen, etwa im gewerblichen oder im Kinder- und Jugendhilfebereich, könnte darüber hinaus eine spezielle Ausbildung mit staatlicher Anerkennung gefordert werden.  Es ist nicht zu verstehen, weshalb der Gesetzgeber für einen „zertifizierten Wohnungseigentumsverwalter“ nunmehr eine Prüfung vor der IHK verlangt (§ 26a WEG n.F.), im wesentlich sensibleren Bereich der Mediation aber eine keinerlei Kontrolle unterliegende Selbstzertifizierung zulässt. (...)



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.09.2021 13:45
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite