Aktuell in der ZKM

Weitblick statt Rückblick -Zu den Vorschlägen von QVM und BRAK

von Rechtsanwalt und Mediator Michael Plassmann, Vorsitzender des Ausschusses Außergerichtliche Streitbeilegung der Bundesrechtsanwaltskammer

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat die Corona-Pandemie durch die Etablierung diverser Online-Erfahrungsaustausche unter den Stakeholdern der Mediationsszene dazu genutzt, die Agenda und den Diskurs für ihre langfristig geplante Mediationskonferenz zielführend vorzubereiten. Die Steilvorlage des Ministeriums bleibt durch die Mediationsverbände indes ungenutzt: Statt Ideen dafür zu entwickeln, wie sie die Mediation als Verfahren zukunftsorientiert im Markt etablieren, verlaufen sich die Mediationsverbände in der Sackgasse einer längst beendet geglaubten Diskussion um die Anzahl von Ausbildungsstunden. Was sie auch immer dazu treiben mag: Es ist an der Zeit, dass sich die Mediationsszene von dieser Altlast befreit und stattdessen endlich die Nachfrageseite in den Fokus nimmt.

I. Bestandsaufnahme: Mediation im Jahr 10 des MediationsG

Nicht ohne Grund hatte das Bundesjustizministerium (BMJV) den Titel der diesjährigen Online-Mediationskonferenz mit einem Fragezeichen versehen: „Stärkung der Mediation: Qualitätssteigerung und Reputationssteigerung durch mehr staatliche Regulierung?“ lautete die Frage und war in drei Themenblöcke   unterteilt, um idealerweise Aufschluss und Antworten auf die nicht ganz unprovokant klingende Frage zu finden.

Die gemeinsame Bestandsaufnahme   hat im Ergebnis verdeutlicht und bestätigt: Die Verabschiedung des MediationsG – euphorisch schon als die „vielleicht größte Neuerung seit 1789“ bezeichnet – hat nicht zu dem avisierten „Umbruch im deutschen Recht“, sondern eher zu einem evolutionären, denn zu einem revolutionären Wachstum der Mediation geführt hat.

Das mag man – gerade, wenn man die enormen nachhaltigen Konfliktlösungspotentiale des Mediationsverfahrens mit den Medianden im Kanzleialltag erlebt – bedauern. Die damit gerade von den in der Praxis weniger tätigen Mediatoren geäußerte Bitte an den Gesetzgeber, doch dafür Sorge zu tragen, dass mehr Bürger Verfahren wie die Mediation Anspruch nehmen und damit zugleich die eigene Fallanzahl erhöhen zu können, delegiert die Erledigung eigener Hausaufgaben zu einseitig in den Bundestag. Statt auf der Anbieterseite zu klagen, sollte der Blick vielmehr auf den spürbaren Wandel der Konfliktkultur und das Entwickeln und die Wahrnehmbarkeit adäquater Angebote für die Konfliktpartner gerichtet werden. Zumal die Rahmenbedingungen besser als die Stimmung in der Mediationsszene zu sein scheinen.

1. Evolution statt Revolution: Konfliktkultur behutsam im Wandel

Seit vielen Jahren bestätigt der Roland Rechtsreport nicht nur Kontinuität beim Bekanntheitsgrad von Mediation und Schlichtung, sondern belegt anhand der insbesondere bemängelten langen Verfahrensdauern der Justiz   einen zentralen strukturellen Wettbewerbsvorteil der Mediation: Die Verfahrensgeschwindigkeit. Ein zentraler Vorteil der Mediation, den es zukünftig deutlich offensiver nicht nur unter dem Aspekt des Zeitfaktors, sondern auch mit der besonderen Qualitätskomponente des Verfahrens zu kommunizieren und flankieren gilt.

Dieses Manko des justiziellen wie schiedsgerichtlichen Verfahrens, das für die Beteiligten als enorme Belastung empfunden wird, kann auch durch den im Europa-Vergleich eher noch überschaubaren Zeitrahmen nicht kompensiert werden. Hier sollte die Mediatorenschaft den Vorteil der Schnelligkeit und Dienstleistungsfähigkeit gleichwohl nicht nur abstrakt formulieren, sondern auch konkret in der Praxis untermauern.

2. Mediation überzeugt bei Tempo und Qualität

Immer wieder macht der Autor gerade im Kontext der Wirtschaftsmediation die Erfahrung, wie wertvoll, weil entlastend, die Beteiligten den schnellen Einstieg in die Konfliktlösung empfinden. Terminliche Flexibilität, wenn man spürt, wie sehr es brennt, wissen nicht nur Gesellschafter als Vorteil gegenüber der Justiz zu schätzen. Ein flexibles Angebot wird auch auf der Habenseite des Mediators, der offensichtlich ein Gespür für wirtschaftliche Zwänge hat, verbucht. Wenn dann die Parteien in einer ebenso strukturierten wie zügigen Mediation erleben, was sich infolge einer häufig gerade auch mit Unterstützung der Parteianwälte gelungenen Konfliktbereinigung an Lösungsoptionen eröffnet, werden sie zwangsläufige zu den besten Multiplikatoren für das Verfahren und den Mediator.

3. Zusammenwirken statt Infragestellen

Die Chance, diese besondere Nachhaltigkeit eines wirklich erfolgreichen Mediationsverfahrens beweisen zu können, wird durch die gesellschaftliche Grundstimmung nicht erst seit der Corona-Pandemie flankiert: Wenn es in konfliktbeladenen Situationen nicht mehr weiterzugehen scheint, erschallt im unternehmerischen oder gesellschaftspolitischen Kontext mehr und mehr der Ruf nach einem Mediator. Dieses Image des Verfahrens gilt es aus Anbietersicht – ob mit oder ohne Gesetzgeber –, durch zielgruppenspezifische Mediationsangebote in den nächsten Jahren ebenso offensiv wie glaubwürdig zu nutzen.

4. Parallele Zertifizierungssysteme verunsichern Nachfrageseite

Um dieses doch häufig gar nicht genug wahrgenommene Kompliment und Qualitätsmerkmal im Sinne einer Etablierungsoffensive fruchtbar zu machen, bedarf es eines echten Zusammenwirkens der gesamten Mediationsszene, unabhängig vom Quellberuf und Mitgliedschaft. Als kontraproduktiv erweist es sich jedoch, wenn beispielsweise vom QVM die mit dem MediationsG korrespondierende ZMediatAusbV durch ein paralleles, hiervon inhaltlich abweichendes Zertifizierungssystem der Mediationsverbände in Frage gestellt wird, anstatt daran mitzuwirken, die bestehende Verordnung durch praxisnahe Impulse zu optimieren. Parallele Zertifizierungssysteme trotz gesetzlich bereits etablierter Zertifizierung dürften beim Verbraucher nicht für das gewünschte Zutrauen in die sich mehr und mehr etablierende Mediation sorgen, sondern die Gefahr implizieren, eher in Misstrauen in das geschätzte Mediationsverfahren und seine für den Verbraucher schwer zu unterscheidenden Anbieter umzuschlagen.

II. Förderung und Integration der Mediation im Rechtsschutzsystem?

Unzweifelhaft war die Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung ein wichtiger Auftakt zur weiteren Etablierung der Mediation. Dass der Gesetzgeber sein Gesetz gleichwohl ruhig beim Namen nehmen darf und beim zweiten Schritt, der ‚Förderung’, zugleich noch Luft nach oben hat, hat auch die Diskussion unter den erfahrenen Praktikern und Wissenschaftlern im Rahmen der BMJV-Konferenz nachdrücklich untermauert.

1. Liberaler Ansatz des MediationsG ursprünglich zeitgemäß

Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung ganz bewusst einen sehr liberalen Ansatz gewählt, der den Beteiligten zunächst einen angenehm überschaubar regulierten Korridor eröffnet hat. Die im „Fördergesetz“ verankerten Förderinstrumente waren jedoch leider nur kleine Perlen, die zudem auch von den Ländern nicht wirklich aufgegriffen worden sind.

2. Prozessuale Anpassungen nun zeitgerecht und angemessen

Daher ist es nun an der Zeit, dass der Bundestag die Erkenntnisse aus der im Gesetz verankerten Evaluierungsverpflichtung offensiv dazu nutzt, den Anspruch des Gesetzes nunmehr wörtlich zu nehmen. Am Ende muss der Gesetzgeber Farbe bekennen, ob er – wie in der Mediations-RL vorgesehen, in der deutschen Umsetzung im Titel formuliert und vom BVerfG  frühzeitig legitimiert – der außergerichtlichen Konfliktbeilegung wenn nicht Vorfahrt, so doch eine wahrzunehmende Förderung zuteilwerden lassen will.

3. Vision und Mut ganz i.S.d. Mediations-RL

Die in der Online-Konferenz von Felix Steffek angedachte Vision von einer vollständigen Integration und Gleichstellung von ADR-Verfahren in ein gemeinsames prozessuales System – einer sogenannten „Konfliktlösungsordnung“  – steht spiegelbildlich für den nächsten Entwicklungsschritt im Rahmen der Implementierung von ADR-Instrumenten in das deutsche Recht. Knapp 10 Jahre nach Erlass des MediationsG und umfangreicher Praxiserfahrungen mit ADR-Instrumenten in der Praxis ist es an der Zeit, mutige Schritte zu gehen. Nur wenn sie wirklich mutig sind, wird ansatzweise das gelingen, was das eigentlich Anliegen der europäischen Mediations-Richtlinie war:

„Ziel dieser Richtlinie ist es, den Zugang zur alternativen Streitbeilegung zu erleichtern und die gütliche Beilegung von Streitigkeiten zu fördern, indem zur Nutzung der Mediation angehalten und für ein ausgewogenes Verhältnis von Mediation und Gerichtsverfahren gesorgt wird.

4. Zusammenspiel statt Soloauftritt

Damit die autonome Konfliktlösung in der Praxis auch vermehrt genutzt wird, bedarf es jedoch nicht nur des Parlaments und des BMJV, das die Mediation für jeden ohnehin spürbar auf der Agenda hat. Damit die Mediation als echtes Premiumprodukt der Konfliktlösung in der Breite wahrgenommen und auch tatsächlich in Anspruch genommen wird, ist in erster Linie ein intelligentes Zusammenwirken verschiedener Beteiligter vonnöten: Ein echtes Zusammenspiel von Gesetzgeber, Justiz, Wirtschaft, Anwalt- und Mediatorenschaft, in dem jeder Partner zwar seine individuellen Akzente bei der Streitbeilegung zu setzen vermag, aber das gemeinsame Ganze nicht aus den Augen verliert.

Im Lichte dieses Verständnisses hätte die vom BMJV aufgeworfene Frage nach der Notwendigkeit von Maßnahmen zur Qualitätssicherung und -kennzeichnung von Mediationsangeboten eine ebenso legitime wie sinnvolle Klammer zur Einbindung der Stakeholder und Verknüpfung der aufgeworfenen Konferenzfragen darstellen können.

III. Der Vorschlag der Mediationsverbände

Statt aus einer Verknüpfung der Erkenntnisse zu den aufgeworfenen Themen eigene Ideen zu entwickeln, wie auf Basis gemeinsamer Qualitätsstandards echte Förderimpulse für die Mediation entstehen können, haben sich die im QVM organisierten Mediationsverbände bei der BMJV-Konferenz offensichtlich entschieden, sich einmal mehr und zudem in einer längst beendet geglaubten Diskussion über die angemessene Höhe von Ausbildungsstunden zu verlaufen. Man muss es so deutlich formulieren: Und damit auch das Angebot und den zur Verfügung gestellten Rahmen des BMJV offensichtlich nicht als Chance begriffen.

Hatte man sich bei der Lektüre der „Frankfurter Erklärung“  einerseits noch über das offensichtliche Einvernehmen nach mehr Praxisbezug in der Mediationsausbildung gefreut,  rieb man sich bereits damals irritiert die Augen, dass der im AK Zertifizierung 2011 gemeinsam erarbeitete – und vom BMJ geradezu mediativ moderierte  – Ausbildungskatalog plötzlich in Frage gestellt wurde und die Zahl der Ausbildungsstunden von 120 auf 200 – mithin um zwei Drittel (!) – ohne belegbaren Grund erhöht werden sollte.

1. QVM bleibt Legitimation für Stundenforderung schuldig

Wer nun gehofft hatte, dass die Referenten des QVM den großzügig eingeräumten Zeitrahmen dazu nutzen würden, die Antwort darauf zu liefern, warum ein von Experten erarbeiteter Ausbildungs- und Stundenkatalog um 80 – in Worten achtzig – Stunden keine Gültigkeit mehr für die Zertifizierung haben soll, wurde enttäuscht. Die Antwort blieb der QVM einmal mehr schuldig. Der Hinweis, man habe auch vor dem MediationsG eine Ausbildung von mindestens 200 Stunden für angemessen gehalten, kann selbstverständlich als Legitimation dafür dienen, auch zukünftig weiterhin 200 Stunden anzubieten. Dieses Recht steht übrigens allen Ausbildungsinstituten auch weiterhin zu. Es ist jedoch kein Argument, das den Gesetzgeber veranlassen kann und sollte, einen sich in der Praxis bewährten Ausbildungskatalog ohne nachvollziehbare inhaltliche Begründung in Frage zu stellen.

Auch wenn der oft zitierte Verbraucher als Legitimation für so manche Forderung herhalten muss, stellt sich die Frage, wonach sich dieser schützenswerte Verbraucher eigentlich sehnt? Geht es ihm um den Streit über die Ausbildungsstunden oder nicht eher darum, dass er professionell durch die Mediation geführt werden möchte? Man muss hier gewiss nicht der bewusst provokant vorgetragenen These von Horst Eidenmüller folgen wollen, der im Rahmen der Mediationskonferenz 35 Ausbildungsstunden ins Spiel gebracht hat, um zu erahnen, wie überholt und rückwärtsgewandt diese Diskussion ist. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass diese Erhöhung der Stundenzahl nicht nur für einen florierenden Ausbildungsmarkt sorgen, sondern in erster Linie als Legitimation dafür dienen soll, sich als passende Partner für die gewünschte Beleihung durch den Gesetzgeber zu empfehlen. Frei nach dem Motto: „Wir haben die höchsten Standards und sind damit die geborenen Partner für die Zertifizierung“.

2. Markt will Kompetenz statt Nabelschau

Bei allem Respekt für das gemeinsame Anliegen an eine hochqualifizierte Mediationsdienstleistung und -ausbildung ist die mantraartig formulierte und mitnichten bewiesene Gleichstellung von Stundenzahl mit Qualität, ein Angriff auf all diejenigen Mediatoren, die Tag für Tag – unabhängig von ihrer jeweiligen Ausbildungsstundenzahl und ihres Quellberufes – Medianden erfolgreich durch ihre Konflikte manövrieren und den Dank der Medianden für ihre nachgewiesene Praxiskompetenz und nicht für ihre abstrakte Stundenzahl erhalten. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.08.2021 17:35
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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