Nationalismus ./. Gemeinschaftssinn: Die Schweiz verweigert das neue EU-Abkommen

Nach sieben Jahren beendet die Schweiz die Verhandlungen über ein von Brüssel gewünschtes Rahmenabkommen zu den bilateralen Beziehungen. Dass sie ihre Beziehungen mit einem Rahmenvertrag etwas weiter vertiefen und vor allem modernisieren, war aus Brüsseler Sicht eine Selbstverständlichkeit, fast eine Formsache. Doch der konservative schweizerische Regierungschef Guy Parmelin (SVP) erklärte die Gespräche für gescheitert.

Seit Jahren haben die EU und die Schweiz über ein neues Abkommen verhandelt, das ihre Beziehungen auf neue Beine stellen soll. Es hätte die bestehenden Verträge zusammengefasst und modernisiert. Das geltende Freihandelsabkommen ist von 1972. Ein entscheidender Unterschied zu modernen Abkommen: Es ist nicht vorgesehen, dass die Schweiz neue Vorschriften der EU automatisch akzeptiert. Dies muss regelmäßig neu beschlossen werden.

Mehr als 120 weitere Abkommen regeln die Beziehungen. Keines von ihnen schafft die Grundlage für ein „level playing field“, das der EU in all ihren Abkommen sehr wichtig ist: gleiche Chancen für alle Marktteilnehmer. Auch gibt es keinen Streitbeilegungsmechanismus, wie er heutzutage in Handelsabkommen vereinbart wird.

Die Bereitschaft in der Schweiz, sich mit der EU zu einigen, war offenbar gering. Eine Vertreterin der EU-Kommission sagte, die Kommission habe einen hohen Aufwand betrieben und gut ausgearbeitete Vorschläge vorgelegt. Das sei auf der schweizerischen Seite nicht so gewesen. Zwar sagt die dortige Regierung, sie habe sich mit den Vorschlägen ernsthaft befasst. Aber die Stimmung in der Schweiz ist EU-skeptisch.

Außerdem spielte eine Rolle, dass im Streitbeilegungsmechanismus als höchste Instanz der Europäische Gerichtshof (EuGH) vorgesehen war. Das störte auch viele Juristen. Auch bei den Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien für ein Post-Brexit-Abkommen war das schon ein Streitpunkt gewesen. Allerdings erfüllt der EuGH deutlich höhere rechtsstaatliche Standards als die durch Handelsabkommen eingesetzten Schiedsgerichte. Nicht wenige Schweizer lehnen es aber wohl ab, dass der EuGH in letzter Konsequenz eidgenössische Volksentscheide einkassieren könnte.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.06.2021 16:46
Quelle: Handelsblatt v. 26.5.2021

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