Aktuell in der ZKM

Mediation in der Schuldner- und Insolvenzberatung - Optimierung des systemischen Konfliktmanagements in der Ver- und Überschuldensarbeit - nicht nur in Pandemiezeiten (Proksch, ZKM 2020, 173)

Immer mehr Menschen können in Deutschland ihre Forderungen nicht mehr begleichen, gerade jetzt in Corona-Zeiten. Das Verbraucherinsolvenzverfahren will „zahlungsunfähigen“ natürlichen Personen die Möglichkeit einer endgültigen Befreiung von ihren Schulden verschaffen. So bedeutsam für ver-/überschuldete Menschen eine rasche effektive Entschuldung ist, so zeigen ihre erlebbaren Veränderungen und Einschränkungen die Begrenztheit eines normativ geprägten Entschuldungsverfahrens. Ziel sollte es deshalb sein, Schuldnern Alternativen zum normbezogenen Insolvenzverfahren aufzuzeigen und sie aus ihrem (oft) hilflosen Krisenmodus heraus- und hinzuführen zu bedürfnis- und interessensbezogenen eigenverantworteten Regelungen. Dafür wird ein systemisch-mediativer Beratungsansatz Mediation bedeutsam.

Der Autor, seit 1989 als Geschäftsführer des Instituts für Soziale und Kulturelle Arbeit (ISKAgGmbH Nürnberg) in der Schuldner- und Insolvenzberatung tätig, zeigt im Beitrag auf, wie ein systemisch-mediativer Beratungsansatz eigenverantwortete, außergerichtliche Einigungen zwischen Schuldnern und Gläubigern befördern kann. (Siehe auch die Falldokumentation aus der alltäglichen Schuldnerberatung als Online-Only-Beitrag zu diesem Heft.)

I. Verschuldung und Überschuldung ein komplexes Problem

II. Das Verbraucherinsolvenzverfahren – eine normative Entschuldungsoption

III. Die (außer-)gerichtlichen Einigungsversuche – wenig erfolgreiche Entschuldungsoptionen

IV. Schuldnerberatung als systemische strategische Mediationsarbeit

V. Zusammenfassung und Schluss


I. Verschuldung und Überschuldung ein komplexes Problem

Immer mehr Menschen können in Deutschland seit Jahren ihre Forderungen nicht mehr zahlen. Die Überschuldungsproblematik wächst, in der Coronakrise noch beängstigend mehr. Überschuldung entsteht durch eine Verbindung unterschiedlicher Lebensereignisse. Einkommensarmut ist nach wie vor der zweithäufigste Überschuldungsauslöser.  Alleinerzieher/Solo-Selbständige sind besonders gefährdet. Einkommensarmut führt vor allem bei Arbeits- oder Beschäftigungslosigkeit, bei Krankheit, Trennung/Scheidung zu Ver- bzw. Überschuldung. Mietschulden, Schulden bei (Energie-) Versorgungsunternehmen, Forderungen von öffentlich-rechtlichen Gläubigern, von Telekommunikationsunternehmen nehmen weiter zu. Wohn- und Energiekosten binden oft 50 % des verfügbaren Einkommens binden. Lediglich 17,6 % der Auslöser sind „vermeidbarem Verhalten“ zuzuschreiben. 

Wurde Verschuldung bis Ende der 1970er Jahre vorwiegend mit Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten verbunden (Strafentlassene, Obdachlose, Nichtsesshafte, Suchtabhängige), wurde sie mit zunehmender Überschuldung von Privathaushalten immer mehr auch Thema von Personen aus „normalen“(mittelschichtigen) Haushalten, Alleinerziehenden, vor allem mit Kindern und immer mehr von Solo-Selbständigen und Verbrauchern mit Wohnungseigentum.

Schuldner zahlen oft Beträge an verschiedener Gläubiger, ohne dass die Schulden weniger werden, weil Zinsen und Kosten höher sind als ihre Tilgungsraten. Manche Schuldner würden freiwillig höhere Raten zahlen, aber das geht nicht, wenn einzelne Gläubiger bereits Pfändungen betreiben, so dass höhere Raten und andere Tilgungsmaßnahmen nicht mehr leistbar werden. Schuldner zahlen dann ihre Raten oft aus nicht pfändbaren Beträgen. Sie zahlen ihre Miet- und Energiekosten nicht mehr und riskieren Mietkündigung und Energiesperren. Oft bleiben sie auch fällige Unterhaltsbeträge schuldig. Ihre Schulden- und oft auch Familienkrise spitzt sich damit dramatisch zu.

II. Das Verbraucherinsolvenzverfahren – eine normative Entschuldungsoption
Das Verbraucherinsolvenzverfahren will „zahlungsunfähigen“ natürlichen Personen, §§ 17, 18, 20 Abs. 2 InsO, die Möglichkeit einer endgültigen Befreiung von ihren Schulden verschaffen, §§ 286 InsO. Hauptziele sind die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung und die Befreiung redlicher Schuldner/innen (§ 290 InsO) von all ihren Schulden durch Restschuldbefreiung, §§ 286 ff. InsO, als realistische Chance für einen wirtschaftlichen Neubeginn („fresh start“).

Das gesetzliche Verbraucherinsolvenzverfahren beginnt mit dem außergerichtlichen Einigungsversuch von Schuldnern auf der Grundlage ihres (flexiblen) Schuldenbereinigungsplanes mit ihren Gläubigern, §§ 305, 311 InsO. Der Plan sieht vor, dass Schuldner jedem Gläubiger dessen Quotenanteil an der Gesamtverschuldung am jeweils pfandbaren Betrag der Schuldnereinkünfte an einem festen Monatstag für einen Zeitraum von (maximal) 72 Monaten zahlt. Der Gläubiger verpflichtet sich im Gegenzug, auf jegliche Vollstreckungs- oder Pfändungsmaßnahmen zu verzichten, bereits eingeleitete Verfahren ruhend zu stellen. Nach Zugang der letzten Vergleichsrate verzichtet der Gläubiger auf weitere Forderungen und meldet die entsprechende Schuldenfreiheit des Schuldners an die SCHUFA.

Der Quotenanteil von Gläubigern an der Gesamtverschuldung errechnet sich aus der Summe aller Gläubigerforderungen. Anhand der aktuellen Einkommenssituation und des (angemessenen) Lebensbedarfs der Schuldner wird ihr jeweils monatlich zahlbarer Betrag für die Laufzeit fixiert.

Widerspricht auch nur ein Gläubiger dem Plan, können Schuldner das Restschuldverfahren beim Insolvenzgericht beantragen, § 305a InsO. Dieser gerichtliche Einigungsversuch bietet sich an, wenn der außergerichtliche Einigungsversuch am Veto einer Gläubigerminderheit (nach Köpfen und Schuldbeträgen) gescheitert ist und das Gericht zur freien Überzeugung kommt, dass (noch) eine Chance für ein Einvernehmen zwischen Gläubigern und Schuldner besteht, § 306 InsO. Anders als im außergerichtlichen Einigungsverfahren kann die Zustimmung der ablehnenden Gläubiger zu dem außergerichtlichen Einigungsplan gerichtlich erzwungen werden, § 309 InsO.

Scheitert auch das gerichtliche Schuldenregulierungsverfahren oder sieht das Insolvenzgericht von einem solchen Verfahren ab, folgt das „vereinfachte Insolvenzverfahren“ vor dem Insolvenzgericht, dem sich das Restschuldbefreiungsverfahren, auch Wohlverhaltensperiode genannt, anschließt, §§ 287, 287a, 300 InsO. Es dauert (noch) zwischen 3 bis 6 Jahre. Gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 von Art. 1 des RegE eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldverfahrens vom 31. August 2020 (BT Drs. 19/21981) wird mit Blick auf die Folgen der Covid 19 Pandemie auch für Verbraucher die Dauer des Restschuldverfahrens von sechs auf drei Jahre reduziert. Das gilt aber nur für die Verbraucher, deren Insolvenzverfahren nach dem 30. Sept. 2020 bzw. bis zum 30. Juni 2025 eröffnet wird (Art. 9 Abs. 2 RegE). Danach soll das alte Recht mit der bisherigen Dauer des Restschuldverfahrens von 6 bzw. 5 Jahren wieder gelten.  Für alle anderen Verfahren von Verbrauchern, deren Verfahren vor dem 30.09.2020 eröffnet wurden, gelten weiter die Fristen der sog. Einphasung (Art. 103 k Abs. 2, Art. 2 RegE) von 5 Jahren und sieben Monaten bis vier Jahre und zehn Monaten.

Die Wohlverhaltensperiode ist „fremdbestimmt“. Es gibt den gerichtlich bestellten Treuhänder/Insolvenzverwalter, an den die pfändbaren Einkommensanteile und die Hälfte ererbten Vermögens zu zahlen sind. Er überprüft, ob Schuldner ihre Obliegenheiten erfüllen, d.h. ob sie eine angemessene Erwerbstätigkeit ausüben bzw. sich kontinuierlich darum bemühen und jeden Wohnort- oder Beschäftigungswechsel anzeigen, § 295 InsO.

Nach Abschluss der Wohlverhaltensperiode erteilt das Gericht die Restschuldbefreiung, es sei denn, gesetzliche Versagungsgründe stehen dem entgegen, §§ 296, 297, 297a InsO. Ein neues Verfahren ist nach zehn Jahren möglich, § 287a Abs. 2 InsO.

Nach Erteilung der Restschuldbefreiung durch das Gericht sind Schuldner für alle Verbindlichkeiten, die mit in die Insolvenz genommen wurden, endgültig „schuldenfrei“, §§ 300, 301 InsO. Neue Verbindlichkeiten, die nach der Insolvenz entstanden sind (u.a. Unterhalts-, Miet-, Energieforderungen), müssen (weiter) pünktlich beglichen werden.

Gläubigerforderungen, die im Rahmen des Insolvenzverfahrens ein Thema waren, werden aus der SCHUFA nach der Restschuldbefreiung gelöscht, der Eintrag über die Insolvenz bleibt grundsätzlich noch drei Jahre in der SCHUFA bestehen.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.10.2020 12:17

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