Aktuell in der ZKM

Konflikte im kulturellen Minenfeld - Chancen für Mediation? - Islam- und Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Mathias Rohe im Interview (Mickley, ZKM 2020, 114)

Professor Dr.  Rohe lehrt an der Universität Erlangen, kennt arabische Kultur und Scharia, forscht zu Konflikten in Familie, Gemeinde und Politik. Er hinterfragt gängige Einschätzungen des Islam als problematisch und hebt die sozio-politischen Herausforderungen unserer multikulturellen Gesellschaft hervor. Im Interview mit Prof. Dr. Angela Mickley formuliert Rohe Handlungsbedarf: 1. Kenntnis und Wertschätzung soziokultureller Vielfalt erweitern, 2. Zugewanderte mit struktureller und finanzieller Unterstützung dringend integrieren, 3. Grundsätze unserer liberal-demokratischen Gesellschaft in Konflikten verständlich machen und durchsetzen.

Guten Tag, Herr Rohe, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Konflikte im und um Islam – welche Konfliktlinien und Ressourcen übersehen wir?

Gerne. Dieses Thema ist kein islambezogenes oder religiöses Thema, eher ein kulturelles. Meine langjährige Forschung zeigt, dass wir ähnliche Konfliktlösungsstrukturen in unterschiedlichsten Religionen haben. Beispielsweise bei Jesiden und Christen aus dem Osten, bei Hindus und anderen, so dass sich im Wesentlichen ein kulturelles Phänomen zeigt, unterstützt durch sozioökonomische Rahmenbedingungen. Wir haben es mit internen Konfliktlösungsmechanismen zu tun, die auf Konsens angelegt sind, weil die Leute das zum Überleben brauchen, in der Familie oder der regionalen Gemeinschaft. Das ist uralte Tradition, auch in der islamisch geprägten Welt. Es hängt damit zusammen, dass in vielen Regionen der Staat nicht präsent oder eher der Gegner ist, korrupt ist, keine vernünftigen Lösungsmechanismen zur Verfügung stellt. So dass die Leute ihre eigenen internen Wege nutzen. Das schlägt sich auch bei Migranten hier in Deutschland nieder, etwa bei den Roma, die teils schon Jahrhunderte ansässig sind. Da herrscht oft eine Art Scham-Kultur. Ein Konflikt, der vor staatlichen Stellen ausgetragen wird, ist schon ein Gesichtsverlust für den Betroffenen, aber auch für die Familie. Deswegen vermeidet man Öffentlichkeit und versucht zu internen Lösungen zu kommen.

Wenn ich Streit nach außen trage, zeige ich Unzulänglichkeit?

So ist es. - Oft bieten Gesellschaften einen repressiven Kontext. Man hilft sich, bildet eine Notgemeinschaft, wie heute noch auf dem Land, und der Preis ist extreme soziale Kontrolle. Mit repressiven Maßstäben, patriarchalisch, unter denen vor allem Frauen und Kinder leiden. Übrigens auch gleichgeschlechtlich orientierte Männer, die zwangsverheiratet und drangsaliert werden Wir müssen diese Phänomene zur Kenntnis nehmen, denn die Betroffenen haben erlernt, ihre Konflikte nur so zu bearbeiten. Selbst Opfer massiver häuslicher Gewalt kann man oft nicht mit Schutzmaßnahmen erreichen, weil sie nicht gelernt haben, ohne oder gegen die Familie zu leben. Da sagt die Mutter: „Wenn Du nicht zurückkommst, sterbe ich.” Wenn wir hier helfen, müssen wir erkennen, nach welchen Regeln und Bedürfnissen alles abläuft. Das muss man nicht nur als Problem, eher auch als Ressource und Chance verstehen.

Wie können Migranten Vertrauen in die Funktionalität unseres Staates entwickeln und sich mit einer so schwierigen Situation an staatliche Vertreter wenden? Ist das viel verlangt?

Es ist nicht leicht. Es gibt Leute mit gutem Bildungshintergrund, wie manche Iraner, die wissen, wie eine komplexe Zivilgesellschaft funktioniert. Sie sprechen die Sprache, haben Ressourcen und integrieren sich leicht. Für andere gilt das Gegenteil. Sie bringen Misstrauen gegen den Staat mit, das sie nachvollziehbar entwickelt haben und projizieren das auf den neuen. Ich habe in Syrien studiert in den 80ern, das war damals schon eine brutale Folterdiktatur. Das habe ich in verschiedenen Studien publiziert. Wir müssen von staatlichen und sozialen Stellen her Vertrauensarbeit leisten, erklären, was wir tun, nach welchen Prinzipien und betonen: Wir haben gemeinsame Interessen, etwa die Sorge um das Kindeswohl. Wenn wir nichts überstülpen, sondern gemeinsame Anliegen identifizieren, hilft das weiter. Dazu braucht man, und da ist Luft nach oben, kulturelle Sensibilität. Wie redet man mit Menschen? Kommunikationskultur als Stichwort.

In der Mediation?

In unserer deutschen Direktheit sagen wir, „jetzt kommen Sie mal zur Sache“. Und wenn sie den Konflikt bis zu den Großeltern erläutern, verstummen sie, weil sie denken „wir sind doch schon bei der Sache“. Dazu gehört Kontext erklären, einordnen und vieles mehr. D.h. wenn wir das nicht wissen, dann fassen sie zu uns kein Vertrauen, nach dem Motto “Die hören uns ja gar nicht zu.”

Erfordert das auch Veränderungen in der Justizsprache?

Ich mache seit einigen Jahren Fortbildungen für Richter, Staatsanwälte usw. Die meisten sind sehr gutwillig, wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Wichtig ist, deutlich zu sagen, wir sind ein anderer Staat als der, aus dem sie kommen. Ein Staat, der zum Schutz Schwacher stark sein will. Familien sind zwar in erster Linie Privatsache, aber der Staat wacht darüber, dass niemand unter die Räder kommt, nicht um zu drangsalieren oder zu demütigen. Das kann man erklären.

In der Mediation ermuntern wir nach dem gegenseitigen Verstehen zur gemeinsamen Gestaltung des sozialen Kontextes. Wie sieht Konflikttransformation in anderen Kulturen aus?

Wir müssen deren Ressourcen nutzen - seit Jahren mein Plädoyer: MediatorInnen ausbilden aus den Communities. Die vertreten klar die äußeren Rahmenbedingungen, haben sprachliche Zugänge, die anderen fehlen, verstehen Zwischentöne, kulturelle Hintergründe und führen als Mediatoren nachhaltige Lösungen herbei. Es gibt traditionelle Familienbilder, oft patriarchalisch, das muss man nicht gut finden, aber es ist ein zulässiges Lebensmodell.

Da sollte man nicht missionieren, sondern aufpassen, wo äußerer Rahmen oder Rechte der Beteiligten in Gefahr sind und dann Lösungen herausarbeiten, mit denen alle leben können und die staatskompatibel sind. Also eine Professionalisierung der Leute aus den Communities. Der Staat muss die Zügel in der Hand behalten.

Wovor warnen Sie?

Selbstläuferentwicklungen, dazu habe ich bei Tschetschenen bspw. in Österreich geforscht. Da wurde die Polizei aufgefordert, die Täter zu benennen, „um es wie gewohnt intern zu regeln“. Das hat aber wenig mit Rechtsstaat-kompatiblen Maßstäben zu tun. Eine Gratwanderung: Der Rechtsstaat darf seine Kompetenzen nicht delegieren, aber sollte positive Ressourcen nutzen. Man darf nicht stigmatisieren oder kulturalisieren. Es gibt wirklich interessante Bearbeitungsmechanismen, die zu nachhaltigen Lösungen führen und positiv befrieden können.

 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.07.2020 15:58

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