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Online-Mediation (Teil 1) - Technische Möglichkeiten und praktische Verfahrensgestaltung der Mediation im virtuellen Raum (ZKM 2020, 80)

Von Ulla Gläßer, Nora Sevbihiv Sinemillioglu und Felix Wendenburg

Die Anfänge digitaler Streitbeilegung (ODR) reichen bis in die 1990er Jahre zurück, aber trotz technisch vielfältiger Möglichkeiten wurden bis vor kurzem -Mediationen und Verhandlungen ganz überwiegend in Präsenz durchgeführt. Erst im Zuge der Corona-Krise hat sich in der Mediationsszene ein breites Interesse am Format der Online-Mediation entwickelt. Der erste Teil dieses zweiteiligen Artikels gibt einen Einblick in die technischen und praktischen Voraussetzungen und Umsetzungsmöglichkeiten von (synchroner) Online-Mediation. Sinnvolle Schritte für die Vor- und Nachbereitung sowie phasenspezifische Besonderheiten des Settings werden erörtert. Dies soll Mediatoren ermutigen, digitale Formate zu nutzen, um das eigene Dienstleistungsangebot zu erweitern.

I. Einführung
Das Thema „Online Dispute Resolution“ (ODR) erhielt über die letzten Jahre hinweg steigende Aufmerksamkeit. Dies zeigt sich in der wachsenden Zahl der einschlägigen (immer noch überwiegend englischsprachigen) Publikationen und Konferenz-Beiträge – wobei Aspekte von ODR häufig auch mit den Themen Legal Tech und/oder künstliche Intelligenz (KI) kombiniert werden.

Allerdings blieb die Faszination von den Möglichkeiten, die die digitale Welt für die Streitbeilegung bietet, meist auf einer theoretischen, experimentellen oder programmatisch-visionären Ebene. Die Praxis der außergerichtlichen Streitbeilegung in Deutschland fand – anders als in anderen Teilen der Welt – bis vor Kurzem ganz überwiegend in realen Räumen unter körperlicher Anwesenheit aller Beteiligten statt. Insbesondere Mediatorinnen setzten mit Blick auf das spezifische, konflikttransformative Potential des Verfahrens, das auf der Förderung von ganzheitlichem zwischenmenschlichen Kontakt, Empathie und Perspektivwechsel gründet, auf eine gemeinsame physische Präsenz der Beteiligten und standen Online-Formaten skeptisch oder gar ablehnend gegenüber.

Nun hat sich durch die Corona-Pandemie die Situation schlagartig verändert. Dem Distanzgebot folgend werden die unterschiedlichsten Dienstleistungen zwangsläufig in die Online-Welt verlegt – so auch die Konfliktbearbeitung. Angebote für Einführungskurse in Online-Arbeitsweisen nahmen in kürzester Zeit sprunghaft zu; viele Kollegen verlagern ihre Mediationsangebote in den digitalen Raum. Für manche ist dies ein willkommener Anlass, ihr Dienstleistungsportfolio durch neue Formate zu erweitern. Für andere, weniger technikaffine oder experimentierfreudige Gemüter ist der notgedrungene Umzug in digitale Räume vor allem mit großer Mühe und Unsicherheit verbunden.

Dieser Beitrag bietet einen praxisorientierten Überblick über die technischen Möglichkeiten und Besonderheiten der Verfahrensgestaltung der synchronen Online-Mediation; im darauf aufbauenden zweiten Teil des Artikels werden spezifische Chancen, Herausforderungen und Perspektiven der Online-Mediation auf einer grundsätzlicheren Ebene erörtert werden. In seiner Gesamtheit soll der Artikel Mediatorinnen wie Konfliktparteien zur praktischen Nutzung des Online-Formates ermutigen und zugleich den Blick für Potential und Begrenzungen der Online-Vermittlung schärfen.

Im Folgenden werden wir zunächst den Ansatz der synchronen Online-Mediation in der Landschaft der digitalen Streitbeilegung verorten (II.). Dem folgen eine kurze Einführung in die technischen Möglichkeiten (III.) und praktische Hinweise zu Infrastruktur und Rahmenbedingungen der Online-Mediation (IV.). Auf dieser Basis werden Besonderheiten, die es auf der Ebene der Interventionsgestaltung im Online-Format zu berücksichtigen gilt, entlang der Phasenstruktur der Mediation vorgestellt und durch Empfehlungen zur Vor- und Nachbereitung digitaler Mediationsverfahren vervollständigt (V.). Am Ende steht ein Ausblick auf den zweiten Teil des Beitrags (VI.).

II. Verortung in der Landschaft der digitalen Streitbeilegung
Mit digitaler Streitbeilegung bzw. Online Dispute Resolution (ODR) wird eine Vielzahl von digital unterstützten oder vollständig virtuellen Formen der Konfliktbearbeitung bezeichnet.

Der Ursprung von ODR liegt in den 1990er Jahren, als erste Online-Plattformen zur Konfliktbeilegung im Bereich des Internethandels entwickelt wurden. 9In den Folgejahren entstanden Online-Angebote auch zur Beilegung „analoger“ Konflikte. Dabei waren die Entwickler der frühen ODR-Mechanismen zunächst darauf fokussiert, die Funktionsweise der traditionellen ADR-Verfahren möglichst ähnlich in die Online-Welt zu verlegen. Im Laufe der Zeit wurden zusätzlich auch völlig neuartige, digital basierte Prozesse geschaffen.

Grundlegend unterscheidet man zwischen synchronen (gleichzeitige Anwesenheit der Beteiligten in Telefon- und Video-Konferenzen bzw. Chats) und asynchronen (ungleichzeitige Kommunikation über E-Mail, Online-Plattformen oder spezielle Software) ODR-Formaten. Bei dieser Klassifizierung bleibt ODR jedoch reduziert auf eine digitale Spielart der traditionellen analogen Streitbeilegung; das deutlich darüber hinausgehende revolutionäre Potential der digitalen Technik für die Streitbeilegung wird hier noch nicht deutlich.

Der großen Unterschiedlichkeit der ODR-Formen wird eine Klassifizierung besser gerecht, die den Grad des Einflusses der eingesetzten Technologie auf das jeweilige Konfliktbearbeitungsverfahren ins Zentrum stellt, s. Abbildung.

An dem einen Ende des Spektrums befinden sich „low impact“-Formen von ODR, bei denen Technologie als reine Unterstützung von analoger Konfliktbeilegung zum Einsatz kommt, etwa ein E-Mail-Wechsel zur Vorbereitung einer Präsenz-Mediation. Am anderen Ende des Spektrums stehen „high impact“-Formate, bei denen der Einsatz von Technologie, insbesondere von künstlicher Intelligenz, zur Entstehung völlig neuer, teilautomatisierter Formen der Konfliktbeilegung führt.

Im Folgenden befassen wir uns eingehend mit der synchronen Online-Mediation, bei der alle Beteiligten zeitgleich anwesend und per Audio und Video miteinander verbunden sind. Diese Form der Online-Mediation ist im mittleren Bereich des dargestellten Spektrums verortet. Sie versucht, die Präsenz-Mediation im digitalen Medium so weit wie möglich nachzubilden. Jedoch beeinflusst die genutzte Technologie das Verfahren und die Verhaltensweisen der Beteiligten, so dass Anpassungen der mediativen Arbeitsweise nötig werden und besondere Chancen, aber auch Herausforderungen entstehen.

[Abb.: ODR Continuum]

III. Technische Möglichkeiten der Online-Mediation
Die technischen Möglichkeiten, Mediationen „live“ online durchzuführen und individuell zu gestalten, sind mittlerweile vielfältig; das dafür nötige technische Vorwissen ist schnell erworben. Grundsätzlich ist jede Software verwendbar, die Audio-Video-Verbindungen ermöglicht – die diesbezüglichen Angebote reichen von Skype über Apps wie Whatsapp, FaceTime, Viber oder Signal, die vor allem für mobile Endgeräte optimiert sind, bis hin zu spezifischer Meeting- oder Konferenz-Software, die nun im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie einen regelrechten Boom erlebt. Meeting-Software bietet den Nutzerinnen deutlich mehr Optionen und stabilere Verbindungen, insbesondere bei mehr als zwei Teilnehmenden. Zu den Optionen frei nutzbarer Open-Source-Software (FOSS) zählen u.a. Jitsi, BigBlueButton, fairmeeting oder Nextcloud Talk; kommerzielle Anbieter sind etwa Adobe Connect, GoToMeeting, MS Teams oder Zoom.

Die Funktionalitäten von Meeting-Software sind weitestgehend vergleichbar: Sie sind über verschiedene digitale Endgeräte nutzbar, wenngleich eine Nutzung über einen Desk- oder Laptop zu empfehlen ist, da die Funktionalität über mobile Endgeräte nicht selten eingeschränkt oder schlechter bedienbar ist. An den Meetings können je nach Software und Vertrags-Paket bis zu mehrere hundert Personen teilnehmen. Viele Anbieter bieten der zu dem Gespräch einladenden Person (Host) die Möglichkeit der Öffnung virtueller Nebenräume.

Aufzeichnung von Sitzungen oder Teilen davon wird durch viele Anbieter ermöglicht und kann im Nachgang allen Teilnehmenden zur Verfügung gestellt werden.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht sind die verschiedenen Meeting-Softwares sehr unterschiedlich einzuordnen. Insbesondere vor dem Hintergrund von Vertraulichkeitsaspekten sollten Mediatoren über ausreichend Informationen über die Art des Datenflusses (z.B. Verschlüsselungsformen, Serverstandorte) und Speicherung von Daten durch die genutzte Software verfügen und diese mit den Konfliktparteien vorab teilen. ...
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.06.2020 09:20
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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