Aktuell in der ZKM

Die Neujustierung der Verbraucherschlichtungsarchitektur in Deutschland (Thole, ZKM 2020, 4)

"Die allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle wird dauerhaft zentral vom Bund getragen werden." Mit dieser Festlegung im Koalitionsvertrag hat die große Koalition der 19. Legislaturperiode dem Gesetzgeber den Auftrag erteilt, die Architektur der Verbraucherschlichtung in Deutschland minimalinvasiv anzupassen. Mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze, das am 1.1.2020 in Kraft getreten ist, sind die Vorgaben der Koalitionäre umgesetzt. Zugleich wurde die Grundlage für die dauerhafte Errichtung einer zentralen, bundeseinheitlichen Universalschlichtungsstelle geschaffen. Überdies wurde das bestehende Recht punktuell nachgebessert. Der folgende Beitrag stellt die wesentlichen neuen Regelungen vor.


A.   Rückblick

B.   Die neue Universalschlichtungsstelle des Bundes

I.     Zuständigkeiten der neuen Stelle

1.      Streitigkeiten aus einem Verbrauchervertrag

2.      Verbraucherschlichtung im Nachgang zu einer Musterfeststellungsklage

3.      Subsidiarität der USS

4.      Lotsenfunktion

5.      Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwerts

II.     Anreize für die Durchführung von Schlichtungsverfahren vor der USS

1.      Attraktive Gebührenregelung

2.      Beibehaltung der grundsätzlichen Gebührentragungspflicht für Unternehmer

III.     Fortgeltung des Prinzips der Freiwilligkeit

1.      Keine Teilnahmepflicht für Unternehmer

2.      Keine unbedingte Pflicht zur Übernahme der Gebühren für Unternehmer

IV.     Neue Praxis durch die USS: Schweigen bedeutet Zustimmung

C.   Sonstige Änderungen im VSBG

I.       Erweiterung der Beratungsbefugnisse des BfJ

III.     Widerruf der Anerkennung

IV.     Einführung einer Unterrichtungspflicht gegenüber der BaFin

C.   Forschungsvorhaben des BMJV zu den Informationspflichten

D.   Ausblick


A. Rückblick

Bis zum 31.12.2019 gab es, neben den 24 1 am Markt existierenden branchenspezifischen Verbraucherschlichtungsstellen und den Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstellen in Köln und in Leipzig, auch die mit Bundesmitteln geförderte Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle am Zentrum für Schlichtung e.V. mit Sitz in Kehl. Allerdings sah § 43 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) vor, dass die Förderung zum Ende des Jahres 2019 auslaufen sollte. In der Folge wären die 16 Bundesländer verpflichtet gewesen, ergänzende Verbraucherschlichtungsstellen zu errichten. Damit einhergegangen wäre die Gefahr einer Zersplitterung der Schlichtungszuständigkeiten in Deutschland, soweit sich die Länder nicht auf eine zentrale Verbraucherschlichtungsstelle verständigt hätten. Die Vorteile der nunmehr vom Gesetzgeber gewählten Zentralisierung liegen auf der Hand: Verbrauchern wird das Auffinden einer Verbraucherschlichtungsstelle erleichtert, indem diese zentral auf Bundesebene errichtet wird. Zudem erfüllt der Bund durch den Betrieb einer bundesweiten Universalschlichtungsstelle (kurz: USS) seine Verpflichtung aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. EU Nr. L 165 v. 18.6.2013, 63), im Bundesgebiet flächendeckend für eine Infrastruktur von Schlichtungsstellen für Verbraucherstreitigkeiten zu sorgen.

B. Die neue Universalschlichtungsstelle des Bundes

Im Rahmen eines europaweiten Ausschreibungsverfahrens hat das Bundesamt für Justiz (BfJ) gem. § 29 Abs. 3 VSBG die Aufgabe des Betriebs einer USS für die Dauer von 4 Jahren an das Zentrum für Schlichtung e.V. mit Sitz in Kehl vergeben.

I. Zuständigkeiten der neuen Stelle

Damit fungiert das Zentrum für Schlichtung e.V., seit dem 1.4.2016 Träger der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle, seit dem 1.1.2020 auch in seiner neuen Rolle als USS.

1. Streitigkeiten aus einem Verbrauchervertrag

Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 VSBG führt die USS auf Antrag eines Verbrauchers Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten aus einem Verbrauchervertrag nach § 310 Abs. 3 BGB oder über das Bestehen eines solchen Vertragsverhältnisses durch. Diese Zuständigkeitsregelung entspricht dem Aufgabenbereich des Zentrums für Schlichtung e.V. in seiner früheren Funktion als Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle.

2. Verbraucherschlichtung im Nachgang zu einer Musterfeststellungsklage

Neu ist die in § 30 Abs. 1 Nr. 2 VSBG vorgesehene Kompetenz der USS, Streitigkeiten im Nachgang zu einer Musterfeststellungsklage zu schlichten. Voraussetzung ist zunächst, dass in einem rechtskräftigen Urteil über eine Musterfeststellungsklage nach § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO oder einem Vergleich nach § 611 ZPO bindende Feststellungen getroffen wurden. Überdies muss der Verbraucher seine Ansprüche oder Rechtsverhältnisse nach § 608 Abs. 1 ZPO zum Klageregister wirksam angemeldet haben. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wird dem Verbraucher niedrigschwellig eine zentrale Anlaufstelle geboten, mit deren Hilfe er Ansprüche, zu denen in dem Urteil Feststellungen getroffen sind oder zu denen der Vergleich Regelungen enthält, kostenlos und außergerichtlich verfolgen kann.

3. Subsidiarität der USS

Die vorstehend skizzierten Zuständigkeiten der USS greifen jedoch lediglich subsidiär ein und kommen gem. § 30 Abs. 1 S. 2 VSBG nur dann zum Tragen, wenn für die Streitigkeit keine branchenspezifische Verbraucherschlichtungsstelle existiert. Nach der übergeordneten Zielsetzung des VSBG soll die Aufgabe der Verbraucherstreitschlichtung vornehmlich durch privatrechtlich organisierte und spezialisierte Verbraucherschlichtungsstellen wahrgenommen werden. Dem liegt die – berechtigte – Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass die branchenspezifischen Verbraucherschlichtungsstellen eine thematisch fokussierte und damit qualitativ besonders hochwertige Schlichtung für Verbraucher und Unternehmer anbieten können.

4. Lotsenfunktion

Sollte sich ein Verbraucher an die für seinen Einzelfall unzuständige USS wenden, da etwa eine branchenspezifische Verbraucherschlichtungsstelle anzurufen ist, so greift die bereits im Jahr 2016 in Kraft getretene, aber erst seit dem 1.1.2020 zur Anwendung gelangende Regelung in § 30 Abs. 4 VSBG (§ 30 Abs. 3 a.F.) ein. Hiernach teilt die USS dem Verbraucher die für ihn zuständige Stelle mit – und übernimmt damit eine wichtige Lotsenfunktion, die Verbraucher von den zum Teil komplexen Zuständigkeitsfragen entlastet.

5. Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwerts

Damit die Schlichtungsstelle auch dann eingeschaltet werden kann, wenn – wie beim Dieselskandal – höhere Streitsummen im Raum stehen, wurde die zulässige Obergrenze für die Anrufung der USS von bislang 5.000 € auf 50.000 € angehoben, vgl. § 30 Abs. 2 Nr. 4 VSBG.
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.02.2020 11:08
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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