Aktuell in der ZKM

Bau- und Infrastrukturprojekte - mit dialogorientierter Kommunikation Konflikten vorbeugen (Prof. Dr. Frank Brettschneider, ZKM 2019, 204)

Konflikten über Bau- und Infrastrukturprojekte können Vorhabenträger durch eine systematische, dialogorientierte Kommunikation mit Politik, Verwaltung, zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie der Bürgerschaft vorbeugen. Einige Vorhabenträger halten sich an die entsprechenden Regeln. Und sie haben damit Erfolg. Dies zeigt eine Befragung der Projektverantwortlichen von 97 Bau- und Infrastrukturprojekten in Deutschland und Österreich.


A. Proteste gegen Bau- und Infrastrukturprojekte

B. Kommunikations-Ziele und -Regeln

C. Projektkommunikation aus Sicht der Vorhabenträger

I. Die analysierten Bau- und Infrastrukturprojekte

II. Ziele und Wirkungen der Projektkommunikation

III. Vielfältige Instrumente der Projektkommunikation

IV. Kosten und Nutzen der Projektkommunikation

D. Fazit
 

A. Proteste gegen Bau- und Infrastrukturprojekte

Vor allem Bau- und Infrastrukturprojekte aus den Bereichen Energie und Verkehr stoßen immer wieder auf Protest von Teilen der Bevölkerung. Stets artikulieren lokale Bürgerinitiativen ihren Unmut. Umwelt- und Naturschutzverbände springen ihnen bei. Oft werden die Konflikte auch von Politikern für Wahlen instrumentalisiert. Nicht selten eskaliert die Auseinandersetzung. Dem Spiegel war dies im Jahr 2010 – zur Hochzeit der Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 – eine Titelseite wert. Darauf sah er Deutschland auf dem Weg in die „Dagegen-Republik“, angetrieben von „Wutbürgern“. Diese Begriffe sind umstritten. Unstrittig ist hingegen, dass der Protest viele Wurzeln hat. Sie lassen sich in sechs Gruppen zusammenfassen:

1. NIMBY-Effekt: Der NIMBY-Effekt (Not-in-my-Backyard) ist auch als Sankt-Florian-Prinzip bekannt. Menschen sind etwa für die Energiewende. Aber sie lehnen das Windrad in ihrer Nachbarschaft ab. Anwohner nehmen durch ein Projekt eine Einschränkung ihrer eigenen Lebensqualität wahr: Das Windrad reduziere den Grundstückswert, Zuglärm beeinträchtige das Wohlbefinden, Strommasten störten den Ausblick. Dieser Protest ist am stärksten motiviert. Daher bleibt er oft auch nach Ausgleichsmaßnahmen (z.B. Schallschutz, finanzielle Kompensation) bestehen.

2. Projektbezogene Gründe: Menschen kritisieren einzelne Aspekte eines Projektes: Sie stufen die Auswirkungen auf Umwelt und Natur als nicht vertretbar ein. Ihnen sind die Kosten eines Projektes zu hoch. Oder sie stellen seine Notwendigkeit und seinen Nutzen in Frage.

3. „Verborgene Gründe“: Mitunter werden einzelne Aspekte eines Projektes kritisiert, obwohl die Wurzeln des Protestes ganz woanders liegen. So nehmen einige Menschen Bau- und Infrastrukturprojekte als Angriff auf die „kulturelle Identität“ ihrer Region wahr. Oder in der Region schwelende Konflikte werden auf dem Rücken eines Projektes ausgetragen. Selten werden diese Gründe explizit geäußert, obwohl sie ein wesentliches Motiv hinter dem Protest sind.

4. Gefühlte Ungerechtigkeit: Oft kritisieren Anwohner, sie seien bereits übermäßig belastet. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Infrastruktur gebündelt wird (Autobahn, Stromtrasse, Zugstrecke). Dann fordern sie, dass nun andere Regionen „dran“ seien.

5. Vertrauensverlust in Wirtschaft und Politik: Protest wird durch mangelndes Vertrauen in „die Politik“ und „die Wirtschaft“ verschärft. Die negative Grundstimmung gegenüber Unternehmen und/oder der Politik überträgt sich dann auf die von ihnen betriebenen Projekte.

6. Art der Kommunikation und Intransparenz formaler Verfahren: Oft wird die Art des Umgangs von Politikern, Verwaltungen und Vorhabenträgern mit „der Bürgerschaft“ bemängelt. Diese würden „die Bürger“ von oben herab behandeln und ihre Einwände nicht ernst nehmen. Das Gefühl, nicht „auf Augenhöhe“ behandelt zu werden, hängt auch mit der Konstruktion formaler Verfahren zusammen, in denen rechtliche Fragen im Mittelpunkt stehen. Die etwa in Erörterungsterminen im Rahmen von Planfeststellungsverfahren übliche Fachsprache wird als unverständlich und distanzierend wahrgenommen. Dies wird mit dem Vorwurf verbunden, Informationen seien unvollständig, sie seien zu spät oder gar nicht zur Verfügung gestellt worden. Gelegentlich wird den Beteiligten auch bewusste Falschinformation unterstellt.

Vorhabenträger müssen sich auf diese veränderte Ausgangslage für Bau- und Infrastrukturprojekte einstellen. Neben Formen der Bürgerbeteiligung kommt der Kommunikation zwischen Vorhabenträgern, Politik, Verwaltung und Bürgern dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Das Kommunikations-Management muss daher permanenter Be- ZKM 2019, 205standteil des Projekt-Managements sein – von der Grundlagenermittlung bis zur Baufertigstellung. Ziel aller Kommunikations- und Beteiligungsbemühungen muss es sein, Bürger vor Ort sowie lokale Verbände, Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen bei Bau- und Infrastrukturprojekten als Partner zu gewinnen, um gemeinsam gesellschaftlich tragfähige Lösungen zu finden.

B. Kommunikations-Ziele und -Regeln

Vor diesem Hintergrund existieren mittlerweile zahlreiche Leitfäden für dialogische Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung. Auch der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat sich der Frage angenommen, wie sich gesellschaftlich tragfähige Lösungen finden lassen. Eines der Ergebnisse ist die 2014 veröffentlichte VDI-Richtlinie 7001: „Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planung und Bau von Infrastrukturprojekten – Standards für die Leistungsphasen der Ingenieure“. 3 Sie unterscheidet Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung sowie ihre Instrumente nach der angestrebten Wirkung in 1. Information, 2. Konsultation und 3. Konfliktbearbeitung. Jede dieser Ebenen stellt unterschiedliche kommunikative Anforderungen und erfordert entsprechende Instrumente.

Auf der Informationsebene ist das Ziel, die breite Öffentlichkeit auf ein konkretes Vorhaben aufmerksam zu machen und über Projektziele und Planungsstand zu informieren. Auch geht es darum, um Verständnis für den Nutzen eines Projektes zu werben. Bereits von Anfang an müssen Vorhabenträger Transparenz herstellen. Zu den Informationsinstrumenten zählen u.a. die Projekt-Webseite, ein Projekt-Blog, Flyer, Plakate, Broschüren, Pressemitteilungen, Pressekonferenzen, journalistische Hintergrundgespräche sowie Veranstaltungen (z.B. Fachvorträge oder Veranstaltungen wie Ausstellungen oder „Tag der offenen Tür“).

Auf der Konsultationsebene werden in einem intensiven Prozess konkrete Vorschläge diskutiert sowie Ideen und Handlungsempfehlungen erarbeitet, auf die die beteiligten Akteure später aufbauen können. Die direkte Interaktion zwischen Vorhabenträgern, Verwaltung und einer (interessierten) Öffentlichkeit hat dabei einen beratenden Charakter. Ziel ist es, lokales Wissen abzufragen sowie vielfältige Interessen und Perspektiven in die Planung einzubeziehen. Zu den Konsultationsinstrumenten zählen u.a. Open Space-Veranstaltungen, Szenario-Workshops, Fokusgruppen, Zukunftswerkstätten und World Cafés.

Auf der Ebene der Konfliktbearbeitung geht es um die strukturierte Bearbeitung von Kontroversen, konkreten Problemstellungen und gegensätzlichen Interessenlagen im Zuge eines Planungs- oder Bauprozesses. Ziel ist eine auf Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen ausgerichtete Problemlösung, mindestens aber eine Versachlichung der Debatte mittels einer gemeinsamen Faktenklärung. Zu den Instrumenten zählen u.a. Mediationen und Runde Tische.

Damit dialogorientierte Kommunikation erfolgreich sein kann, sind laut VDI-Richtlinie 7001 einige Grundregeln zu beachten. Sie wurden aus guten Beispielen aus der Praxis abgeleitet und greifen wissenschaftliche Erkenntnisse auf.

Grundregel 1 – Aufgeschlossene und wertschätzende Grundhaltung

Eine aufgeschlossene und wertschätzende Grundhaltung zu Meinungen von Bürgern impliziert, Projektkommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung nicht als bloße PR-Maßnahme zu verstehen, sondern als ernsthaften Dialog auf Augenhöhe. Zum Dialog gehört zum einen das Zuhören. Zum anderen müssen die eigenen Positionen und das Vorgehen immer wieder erklärt und begründet werden. Dies gilt für jede Phase des Projekts. Dazu gehört vor allem die Diskussion von Alternativen und das Erläutern, warum welche Alternative verworfen wurde.

Grundregel 2 – Klare Rahmenbedingungen

Beteiligungsverfahren sind keine sich selbst organisierenden Prozesse, sondern sie müssen stets mit einem klaren Mandat, einer offenen Fragestellung und eindeutigen Zuständigkeiten zu konkreten Planungsanliegen initiiert werden. Eine klar definierte und von allen Beteiligten akzeptierte Struktur ist als Leitplanke für den Prozess unabdingbar. Allen Teilnehmern müssen von Anfang an Zweck, Zielsetzung, Ablauf, Freiheitsgrade und Spielräume bewusst sein. Hilfreich ist eine Begleitgruppe, die die Rahmenbedingungen festlegt und in der unterschiedliche Akteure vertreten sind.

Grundregel 3 – Frühzeitige Einbeziehung der Bürger

Bei der Planung und Umsetzung von Bau- und Infrastrukturprojekten ist häufig ein Beteiligungsparadox erkennbar: Zu Beginn der Planung ist das Interesse der breiten Öffentlichkeit relativ gering, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Mitgestaltungsmöglichkeiten am größten sind. Mit voranschreitender Planung und damit steigender Konkretisierung der Projekte nimmt dann zwar das Interesse der Bevölkerung zu, gleichermaßen sinkt jedoch der Gestaltungsspielraum. Formale Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung setzen oft erst an, wenn nur eine Antragsvariante vorliegt. Dies ist jedoch meist zu spät. Der Dialog darf daher nicht erst gegen Ende des Projekts stattfinden, sondern er muss frühzeitig beginnen, noch vor den formalen Verfahren. (...)
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.11.2019 16:00
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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