Aktuell in der ZKM

Die Haftung von Mediatoren - Damoklesschwert über dem Flipchart? (Riehm, ZKM 2019, 120)

Am 21.9.2017 hat der BGH in einem aufsehenerregenden Urteil eine Rechtsanwältin, die eine Schlichtungsstelle betrieb, zum Schadensersatz verurteilt und dabei die strengen Grundsätze der anwaltlichen Berufshaftung angewendet, obwohl die Rechtsanwältin in diesem Zusammenhang „als Mediatorin“ tätig geworden war (BGH NJW 2017, 3442 = ZKM 2018, 29). Seither schwebt die Frage einer Anwaltshaftung wie ein Damoklesschwert über Mediatoren. Der Beitrag untersucht, welche Haftungsrisiken nach dieser Rechtsprechung tatsächlich für Mediatoren bestehen, und wie diese begrenzt werden können.


I. Das Urteil des BGH vom 21.9.2017

1.     Der Sachverhalt: Die „One-Stop-Scheidung“

2.     Die rechtliche Würdigung durch den BGH

II. Die haftungsrechtliche Stellung von Anwaltsmediatoren

1.     Abgrenzung von anwaltlicher Tätigkeit und Mediation

2.     Umfang anwaltlicher Sorgfaltspflichten

3.     Pflichten als Mediator
 

I. Das Urteil des BGH vom 21.9.2017

„Übernimmt es der anwaltliche Mediator, einvernehmliche rechtliche Lösungsvorschläge zu entwickeln, kann eine Rechtsdienstleistung vorliegen; die Haftung des Mediators bestimmt sich dann regelmäßig nach den Maßstäben der Anwaltshaftung.“ So lautet der erste Leitsatz des BGH-Urteils vom 21.9.2017, der seitdem viele Mediatoren, insbesondere solche, die zugleich anwaltlich tätig sind, verunsichert. In der Tat scheint eine Haftung nach den Maßstäben der Anwaltshaftung auf den ersten Blick unvereinbar mit der Tätigkeit eines Mediators zu sein. Zu unterschiedlich sind die jeweiligen Anforderungen: Nimmt der Mediator im Idealfall nur eine vermittelnde Rolle ein und hält sich mit eigenen Initiativen oder Ratschlägen zum Gegenstand der Mediation zurück, ist es um-gekehrt gerade die Aufgabe des Anwalts, inhaltlich zu beraten und sein Fachwissen im Interesse der Mandanten einzusetzen. Während der Mediator allparteilich im Interesse aller Klienten tätig wird, obliegt es dem Anwalt, einseitig die Interessen seines Mandanten zu vertreten und das Verfahrensergebnis zu dessen Gunsten aktiv zu beeinflussen. Die Anwendung der Maßstäbe der Anwaltshaftung, die auf die anwaltliche Tätigkeit in Beratung und Prozess zugeschnitten sind, auf die völlig anders gelagerte Mediation scheint kaum vorstellbar. Wie eine nähere Analyse des Urteils zeigen wird, verlangt der BGH das aber auch nicht.

1. Der Sachverhalt: Die „One-Stop-Scheidung“

Bereits der Sachverhalt der Entscheidung macht deutlich, dass es sich nicht um eine klassische Mediation handelte, sondern eher um eine besondere Form der anwaltlichen Tätigkeit: Die Beklagte betrieb eine „Schlichtungsstelle“ und bot in diesem Zusammenhang eine kostengünstige Möglichkeit zur Abwicklung einvernehmlicher Scheidungen an. Ein scheidungswilliges Ehepaar hatte sie gemeinsam beauftragt, nach mehreren „Mediationsgesprächen“ eine Scheidungsfolgenvereinbarung zu entwerfen, die eine „ausgewogene Regelung der wechselseitigen vermögensrechtlichen Ansprüche“ enthielt. Zu diesem Zweck bot die Beklagte u.a. an, Auskünfte über die Höhe der jeweils bestehenden Versorgungsanwartschaften einzuholen, um auch den Versorgungsausgleich in der Vereinbarung berücksichtigen zu können. Da sie als Rechtsanwältin im gerichtlichen Scheidungsverfahren nicht beide Parteien vertreten durfte, instruierte sie – entsprechend einer offenbar eingespielten Praxis – eine Rechtsanwältin, die für den Ehemann den Scheidungsantrag bei Gericht stellte. In der Antragsschrift gab diese an, dass ein Versorgungsausgleich zwischen den Ehegatten nicht durchgeführt werden sollte, weil beide Ehegatten darauf verzichteten.

Kurz vor dem gerichtlichen Scheidungstermin schrieb die Beklagte, die noch immer keine Auskünfte der Versorgungsträger zum Versorgungsausgleich erhalten hatte, erneut an die Anwältin des Ehemanns, und bat diese zu beantragen, den Verzicht auf Ehegattenunterhalt zu protokollieren, nicht aber den Verzicht auf Versorgungsausgleich, solange zwischen der Anwältin und den Ehegatten nichts anderes besprochen worden sei. Da in Kürze der Vertrag (die Scheidungsfolgenvereinbarung) abgeschlossen werden würde, sei das nicht mehr erforderlich, weil es in den Vertrag aufgenommen werde. Gleichwohl erklärte die Anwältin des Ehemanns im gerichtlichen Scheidungstermin den Verzicht auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs. In diesem Termin war auch ein weiterer Rechtsanwalt erschienen, der von der Beklagten instruiert worden war, die Ehefrau im Scheidungstermin zu vertreten. Dieser hatte die Ehefrau noch nie zuvor getroffen und erschien auch erst, nachdem diese im Termin bereits der Scheidung zugestimmt hatte. Für die Ehefrau erklärte auch dieser Rechtsanwalt den Verzicht auf den Versorgungsausgleich, der gerichtlich protokolliert wurde. Dafür erhielt er ein Honorar von 100 €; den Rest seines gesetzlichen Honorars kehrte er an die Beklagte aus.

Erst nach Eintritt der Rechtskraft der Scheidung erfuhr die beklagte Rechtsanwältin von den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung, dass nach wechselseitiger Verrechnung im Rahmen des Versorgungsausgleichs Rentenanrechte im Wert von 94.263,33 € zugunsten der Ehefrau auszugleichen gewesen wären. Da das Scheidungsverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen war, weigerte sich der Ehemann, diesen Betrag an seine nunmehr ehemalige Ehefrau zu bezahlen. Diese nahm zunächst erfolgreich ihren Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Anspruch, und schloss mit diesem einen gerichtlichen Vergleich, in welchem er sich zur Zahlung von ca. 64.000 € an die geschiedene Ehefrau verpflichtete. Dieser Rechtsanwalt nahm in einem zweiten Prozess, der schließlich zu dem Urteil vom 21.9.2017 führte, die beklagte Rechtsanwältin in Regress. Der Bundesgerichtshof ging letztlich davon aus, dass die beklagte Anwaltsmediatorin und der Anwalt der Ehefrau für den Schaden gemeinsam haften und dabei jeweils die Hälfte tragen müssen.

Der Sachverhalt offenbart, dass der Fall von einer klassischen Mediation denkbar weit entfernt liegt. Die Beklagte hatte letztlich zwar als „Schlichtungsstelle“ agiert, in der Sache aber nur wenige mediative Elemente in ihre Tätigkeit integriert. Im Kern hat sie im Auftrag der Parteien eine Scheidungsfolgenvereinbarung entworfen und die beiden Anwälte der Ehegatten hinsichtlich der Durch-führung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens instruiert. Dass sie dazu auch mehrere Besprechungen mit beiden Parteien abgehalten hatte, in denen sie möglicherweise Mediationstechniken eingesetzt hatte, fällt demgegenüber kaum ins Gewicht. Der Kern des Vorwurfs an die Anwaltsmediatorin war denn auch nicht, im Rahmen der Mediation methodische oder inhaltliche Fehler begangen zu haben, sondern ausschließlich, die beiden Anwälte der Ehegatten zur Protokollierung des Verzichts auf den Versorgungsausgleich instruiert zu haben, ohne zuvor hinreichende Informationen über die bestehenden Rentenanwartschaften eingeholt zu haben. Dieser Fehler steht mit den mediativen Elementen ihrer Tätigkeit in keinerlei Zusammenhang, sondern ist in der Tat ein klassischer Anwaltsfehler.

2. Die rechtliche Würdigung durch den BGH

Der BGH begründet den Anspruch der geschädigten Ehefrau gegen die beklagte Anwaltsmediatorin mit einer Pflichtverletzung aus (...)
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.08.2019 12:40
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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