Aus der ZKM

Konkretes und abstraktes Denken - Ein Werkzeug des Konfliktmanagements

Von Dr. Klaus Harnack

Jedes Handwerk benötigt spezielle Werkzeuge, so auch das Handwerk des Konfliktmanagements. Der folgende Beitrag funktionalisiert konkretes und abstraktes Denken als praktisches Werkzeug für das Konfliktmanagement. Grundlage hierfür ist das Phänomen, dass das Denken unterschiedliche Auflösungsgrade haben kann und dass diese Auflösungsgrade gezielt verändert werden können, um die Konfliktbearbeitung zu unterstützen. Neben der Darstellung der Hauptcharakteristika dieses psychologischen Werkzeuges, zeigt der Autor zahlreiche Beispiele für die Anwendung in der Konfliktpraxis auf.


A. Eleitung

B. Die Dimensionen der psychologische Distanzen

I.   Konkret oder abstrakt

II.  Ein Gedankenexperiment

III. Das Zusammenspiel zwischen nah und fern und konkret und abstrakt

IV. Die vier Dimensionen psychologischer Distanz

1.    Räumliche Distanz

2.    Die zeitliche Distanz

3.    Die soziale Distanz

4.    Die hypothetische Distanz

C. Die Konsequenzen unterschiedlicher Denkweisen

I.   Die Vorteile des abstrakten Denkstils

II.  Die Vorteile des konkreten Denkstils

III. Implikationen und Indikatoren

1.   Abstrakter Denkstil fördert Kooperation

2.   Unterschiedliche Auflösungsgrade vermeiden

3.   Psychologische Ferne steigert das Bedürfnis nach Information

4.   Identifizierbarkeit mildert verringerte Empathie in der Ferne

5.   Feedback und Kritik funktioniert nur in der Nähre

6.   Abstrakt erscheint kompetenter

7.   Individuen in der Ferne verlieren ihr Gesicht

D. Die Steuerung des Denkstils

E. Zum Schluss
 

A. Einleitung

Ein guter Handwerker zeichnet sich neben seiner persönlichen Eignung für den jeweiligen Beruf, immer auch durch sein qualitativ hochwertiges Handwerkszeug aus, das dem Laien oftmals vorenthalten ist. Dies gilt auch ausnahmslos für das Konfliktmanagement und dessen Unterdisziplinen wie z.B. die Mediation. Um psychologisches Handwerkszeug gezielt einsetzen zu können, bedarf es einer aktiven Rolle der unterstützenden dritten Partei. Das Rollenbild, dass sich für diesen aktiven Ansatz am besten eignet, ist das des katalytischen Mediators, der die Wahrnehmung und die Interaktionsmöglichkeiten seiner Medianden gezielt steuert, um sie in ihrer Passungsfähigkeit füreinander zu erhöhen. Als Leitmotive dienen ihm deren Interessen und Ressourcen, sowie deren Motivation und ihre persönlichen Eigenschaften. Im Folgenden wird dargestellt, wie konkretes und abstraktes Denken der Konfliktparteien gezielt gesteuert werden kann, um es für den Mediationsprozess nutzbar zu machen, und wie sich konkretes und abstraktes Denken auf den Konfliktprozess auswirkt.

B. Die Dimensionen der psychologische Distanzen

I. Konkret oder abstrakt

Was ist Zähneputzen? Diese scheinbar einfache Frage kann nicht beantwortet werden, ohne den Auflösungsgrad der mentalen Repräsentation von Zähneputzen zu berücksichtigen, nämlich ob Zähneputzen als konkrete oder abstrakte Handlung verstanden wird. Auf einer konkreten Ebene könnte Zähneputzen eine leicht rüttelnde und systematisch ausgeführte Handbewegung mit der Zahnbürste auf den Zähnen sein, wohingegen Zähneputzen auf einer abstrakten Ebene eine Form der Mundhygiene darstellt. Beide Beschreibungen sind inhaltlich und formal korrekt, aber die Art und Weise, wie wir über das Zähneputzen nachdenken und mit welchem Auflösungsgrad Zähneputzen mental repräsentiert wird, bestimmt das weitere Denken und mündet in unterschiedliche Handlungsweisen. Die psychologischen Konsequenzen die sich aus den unterschiedlichen Auflösungsgraden des Denkens einer Person ergeben, sind der zentrale Untersuchungsgegenstand der Construal Level Theory. Eine wesentliche Stellschraube für den Abstraktionsgrad des Denkens ist die psychologische Distanz. Beide Ansätze sollen nun erläutert werden, beginnend mit einem Gedankenexperiment.

II. Ein Gedankenexperiment

Stellen Sie sich vor, Sie fahren auf einer einsamen Straße auf dem flachen Land und machen während des Fahrens ein Bild in Fahrtrichtung geradeaus durch die Windschutzscheibe. Wenn Sie dieses Bild nun vor Ihrem geistigen Auge betrachten, erscheint Ihnen die Straße aufgrund der Fluchtpunktperspektive im Vordergrund breit und die Mittelstreifen sind deutlich voneinander zu unterscheiden. Dieses Erscheinungsbild ändert sich allerdings mit zunehmender Entfernung: Die Straße wird schmaler und die Mittelstreifen rücken enger zusammen, bis die Straße schließlich am Horizont zu einem einzigen Punkt verschmilzt.

Drucken Sie sich dieses mentale Bild nun in A0 aus und hängen Sie es an Ihre geistige Pinnwand. Nun bekommen Sie die Aufgabe, zwei Karten möglichst intuitiv auf dem Bild zu positionieren. Auf der einen Karte steht das Wort „Konkret“ und auf der anderen Karte steht das Wort „Abstrakt“. Wo befestigen Sie die jeweiligen Karten auf dem Bild? Höchstwahrscheinlich werden Sie das Wort „Konkret“ am unteren Bildrand, am Beginn der Straße festpinnen und das Wort „Abstrakt“ am oberen Bildrand, am fernen Ende der Straße platzieren.

III. Das Zusammenspiel zwischen nah und fern und konkret und abstrakt

Das Gedankenexperiment demonstriert den engen Zusammenhang zwischen Nähe und Details auf der einen Seite und Ferne und Abstraktion auf der anderen Seite. Im Kern wird deutlich, dass das Denken über entfernte Dinge, Gegebenheiten, Personen und Identitäten abstrakter ist. Und umgekehrt das Denken an Details gewinnt, wenn sich die psychologische Distanz verkürzt. Allerdings umfasst der Begriff der psychologischen Distanz neben der im Gedankenexperiment beschriebenen räumlichen Dimension drei weitere Dimensionen: die zeitliche, die soziale und die hypothetische Distanz.

Für die mentale Verarbeitung aller Distanzen gilt immer folgende Faustregel: „Je weiter entfernt die Dinge sind, desto abstrakter werden sie repräsentiert und je näher wir den Dingen kommen, desto feiner wird ihre Auflösung.“ (...)
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.06.2019 11:19
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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